Wuppertal - Riedel-Halle V Theaterpremiere: Don Quijote kämpft sich in die Herzen
Die Hauptfigur des gleichnamigen Stücks erntet bei der Premiere Gelächter und ganz viel Applaus.
Wuppertal. Dieser Bühnen-Don Quijote ist am Ende vollständig besiegt. Dazu braucht Regisseur Robert Sturm weder eingebildete noch wirkliche Gegner. Es reicht schon, dass sich die Hand von Quijote-Darsteller Marco Wohlwend in einer Schlinge verfängt. Bedrückend lange hängt er hilflos zwischen Himmel und Erde. Als seine Mitspieler ihn doch noch befreien und es zurück geht auf den Boden der Tatsachen, existiert der fahrende Ritter nicht mehr. Stumm und mit leerem Blick bleibt Wohlwend zurück.
Ganz anders sieht es knapp zwei Stunden vorher in der Riedel-Halle V aus. Da tritt Wohlwend mit leuchtenden Augen und vor Kraft geschwellter Brust vor 400 Zuschauer. Der Elan des selbsternannten Helden ist so groß, dass ihm die Bühne zu eng wird. Als er ins Publikum hineinsteigt, fragt er eifrig: „Sind Sie eines Ritters bedürftig?“ Das Lachen, das ihm antwortet, irritiert ihn nicht. Er hängt der Idee an, anderen mit seiner Ritter-Mission helfen zu können. Dass er daran immer wieder neu scheitert, sorgt beim Premierenpublikum mal für amüsiertes Kopfschütteln, mal für großes Gelächter.
Dabei braucht Bühnenheld Wohlwend selbst Hilfe. Mit seinem Blech-Pferd käme er selbstständig keinen Meter vorwärts. So muss ihn Kollege Jean Sasportes beim Kampf gegen die Riesen, pardon, Windmühlen tüchtig anschieben. Es ist der Anfang einer beeindruckenden Zeitlupen-Szene. „Es ist alles nur Theater“, sagt man sich, wenn Wohlwend sehr langsam gegen die weiße Bühnenwand fährt. Beim Anblick seines schmerzverzerrten Gesichts tut er einem trotzdem herzlich leid.
Im Gegensatz zu Don Quijote weiß Robert Sturm genau, dass er jede Menge Helfer braucht, damit das Spiel zwischen Phantasie und Wirklichkeit gelingt. Vor allem einen Sancho Pansa wie Thomas Gimbel, der genauso präsent wie Wohlwend spielt. Außerdem zeigt Gimbel überzeugend, dass der „Schildknappe“ Pansa an seiner Aufgabe wächst. Als es Wohlwend die Sprache verschlägt, spricht er an seiner Stelle und formuliert seine eigene Philosophie.
Auch die anderen Schauspieler dürfen in der „Don Quijote“-Version von Sturm und Hubert Schirneck aus der Rolle fallen. In ihrem Monolog muss Ingeborg Wolff die Stimme nur ein wenig modulieren und die Stirn kraus ziehen und der Heldenmythos ist ironisch entlarvt. Bauern, Kaufleute, Priester — Jörg Reimers und seine jungen Kollegen Jonas Eckert und Bernhard Glose wechseln schnell und souverän die Rollen. Begegnen sie dem „Ritter von der traurigen Gestalt“, kann der Zuschauer verlässlich mit actionreichen Kampfszenen rechnen.
Räumlich oberhalb des Geschehens, auf Podesten und Treppen, agiert Anne-Catherine Studer. Als Dulcinea von Toboso ist sie Don Quijotes Kopfgeburt. Studer unterstreicht dies mit schlafwandlerisch langsamen Bewegungen und intensiven, nach innen gerichteten Blicken. Aber wie wirklich sind überhaupt die Mitspieler des Ritters? Man kann es vermuten. Da gibt es mehr als eine Szene, die traumartig gemächlich abläuft.
Live-Musik und die Videos steigern die unwirkliche Atmosphäre noch. Während Matthias Burkert (Theremin) und Uwe Fischer-Rosier (Gongs) meist im Bühnenhintergrund bleiben, werden die sieben Streicher des Schönberg-Ensembles zu stummen Mitspielern. Komponistin Carolin Pook hat ihnen Klänge beigegeben, die — mal melodisch-leise, mal dissonant-aggressiv —die Spielhandlung kommentieren. Die Videos von Ralf Silberkuhl und Sven Petersen verfremden kleine Gegenstände zu scheinbar endlosen Landschaften.
Als der letzte Kampf gekämpft und der letzte Ton verklungen ist, hält es die Premierenzuschauer nicht lange auf ihren Plätzen und sie überschütten das Ensemble förmlich mit ihrem Applaus.