„Stücke sind wie Kinder“: Ansichten eines „Tanz-Vaters“

Raimund Hoghe ist auf vielen Feldern und Bühnen aktiv — als Choreograph, Tänzer, Filmemacher, Journalist und Buchautor.

Herr Hoghe, Sie haben von 1980 bis 1990 als Dramaturg am Tanztheater Wuppertal gearbeitet. Wie prägend war diese Zeit?

Raimund Hoghe: Viele Menschen, Orte und Dinge prägen einen und die Zeit mit Pina und den Tänzern des Tanztheaters Wuppertal war natürlich sehr wichtig für meine spätere Arbeit. Durch Pina habe ich auch einen anderen Blick auf meinen Körper gefunden. Sie hat mir klar gemacht, dass mein Körper nicht hässlich ist. Und das hat es mir leichter gemacht, auf die Bühne zu gehen und meinen Körper zu zeigen.

Wie werden Sie Pina Bausch, die Gründerin des Wuppertaler Tanztheaters, in Erinnerung behalten?

Hoghe: Über ihre Bedeutung als Künstlerin muss man ja nichts mehr sagen — aber sie war, wie die Callas von sich sagte, auch „a human being“. Und als menschliches Wesen war Pina nicht nur eine sehr starke, sondern auch eine sehr verletzliche Frau.

Sie sind gebürtiger Wuppertaler, längst aber in „aller Welt“ unterwegs. Was bedeutet Ihnen die bergische Heimat?

Hoghe: Ich erinnere mich, dass ich es schon als Jugendlicher sehr schön fand, dass ich in einer Stadt geboren wurde, in der auch Else Lasker-Schüler gelebt hatte. Heimat — das sind für mich vor allem Menschen. Und Else Lasker-Schüler war immer sehr wichtig für mich. So denke ich an sie, wenn ich an Wuppertal und an das Bergische Land denke.

Sie haben zahlreiche Preise erhalten, darunter 2001 den „Deutschen Produzentenpreis für Choreografie“. Wie wichtig sind solche Anerkennungen?

Hoghe: Natürlich freut man sich, wenn die Arbeit anerkannt wird. Aber ich kenne auch Leute, die eine tolle Arbeit machen und die keine Anerkennung erhalten — die Arbeit wird dadurch nicht schlechter. Wichtig ist für mich, dass ich mit dem zufrieden bin, was ich mache, und immer wieder Grenzen überwinde.

Sie leben inzwischen in Düsseldorf. Was zog Sie von der Wupper an den Rhein?

Hoghe: Die Arbeit als freier Journalist. Ich habe ja auch sehr viel über Ausstellungen geschrieben, und da ist Düsseldorf mit seinen Museen und Galerien natürlich ideal gewesen. Heute lebe ich ja mehr in Hotels als in meiner Wohnung, aber ich bin gern unterwegs und fühle mich nicht an bestimmte Ort gebunden.

An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Hoghe: In diesem Jahr feiern wir ein kleines Jubiläum: Vor 20 Jahren begann meine Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Luca Giacomo Schulte und der Photographin Rosa Frank. Aus diesem Anlass gibt es im Herbst das Festival „20 Jahre — 20 Tage“. In Düsseldorf, Essen und Münster werden nicht nur verschiedene Stücke von mir gezeigt, sondern auch Arbeiten meiner Wegbegleiter und eine umfangreiche Ausstellung. Außerdem gibt’s im Rahmen des Festivals die Premiere eines neuen Gruppenstücks, „Cantatas“.

Welches Stück könn(t)en Sie sich immer und immer wieder ansehen?

Hoghe: Die Stücke sind wie Kinder und ich mag jedes. Jedes ist wichtig für mich — auch wenn es natürlich Unterschiede gibt zwischen Soloarbeiten und einem Stück wie „Young People, Old Voices“, das ich mit zwölf jungen Leuten gemacht habe.

Könnten Sie sich ein Leben ohne Tanz vorstellen?

Hoghe: Ich kann mir kein Leben ohne Gefühle vorstellen.

Welchen (Tanz-)Traum haben Sie sich (noch) nicht erfüllt?

Hoghe: Ich arbeite immer wieder mit Tänzern, die ich vorher nicht gekannt habe, und gemeinsam realisieren wir das, was für uns wichtig ist — und wovon wir vielleicht unbewusst geträumt haben. Bei „Cantatas“ arbeite ich beispielsweise zum ersten Mal auch mit einer jungen Sopranistin — das war immer einer meiner Träume, mit einer Sängerin oder einem Sänger zu arbeiten.