Nachwuchsregisseur Timofej Kuljabin Verdis „Rigoletto“: Ein Politthriller im Opernhaus
Der russische Nachwuchsregisseur Timofej Kuljabin hat Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“ neu interpretiert.
Wuppertal. Das Bündnis „Warschauer Pakt“ ist Geschichte. Die Sowjetunion ist in einzelne Staaten zerfallen. Doch demokratische Strukturen, wie wir sie kennen, haben sich seitdem nicht überall in Osteuropa etabliert. Politische Macht einer einzigen Partei und Korruption sind mancherorts an der Tagesordnung. Nicht jeder Kriminelle wird vor den Kadi gezerrt, wenn er einen ordentlichen Draht noch oben hat.
Ein Land mit solchen Zuständen ist Mantua, um das es im Opernhaus geht. Ja, richtig, Mantua. Aber ist das nicht die Gegend, in der die Oper „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi angesiedelt ist? Genau. Der hoch gehandelte russische Nachwuchsregisseur Timofej Kuljabin hat nur die Handlung in die ihm sehr vertraute Region verlegt und neu interpretiert.
Der Herzog ist ein Politbonze, der seine abnormen sexuellen Neigungen an jeder Frau auslässt, die ihm über den Weg läuft. Rigoletto kommt nicht als Buckliger daher, sondern ist ein linientreuer Fernsehmoderator und zugleich latenter Wahlkampfleiter. Seine Tochter Gilda verbringt ihr Dasein in einem Irrenhaus, hantiert mit Buntstiften. Sparafucile verdient sein Brot als Sicherheitsoffizier.
Den Wahlsieg feiert die Partei „Mantua United“ ausgiebig. Viel Alkohol ist im holzgetäfelten Arbeitszimmer (Bühnenbild: Oleg Golovko) des Duca (Herzog) mit im Spiel. Rigoletto mögen die Parteigenossen nicht. Er kümmert sich rührend um Gilda in der Klapsmühle. Der perverse Schürzenjäger kriegt sie dennoch. Hinterher, mit einer Handschelle am rechten Arm, ist sie genauso fix und fertig wie die Leidensgenossinnen vor ihr.
Und dann der Clou zum Schluss: Dem Killer Sparafucile gelingt die Ermordung Gildas nicht richtig. Dafür geht ihr Rigoletto anschließend erfolgreich an die Kehle, packt sie wieder in den Müllsack und stellt noch andere dazu. Ihm ist letztendlich doch die Teilhabe an der politischen Macht wichtiger als Humanität.
Diese Geschichte wird sehr schlüssig erzählt, wie ein aktueller Politthriller mit allen menschlichen Abgründen und unerfüllten Hoffnungen. Nie gibt es einen Stillstand in der Handlung, sängerisch und darstellerisch wird das Geschehen erstklassig umgesetzt. Allen voran brilliert Ruslana Koval mit einem in allen Belangen beweglichen Sopran und offenbart Gildas Gemütszustände überaus ergreifend.
Exzellent schlüpft Bariton Pavel Yankovsky in die Rolle des vor Hass erfüllten Rigoletto. Dem Herzog von Mantua verleiht Tenor Sangmin Jeon eine kräftig-strahlende Stimme und weiß ausgezeichnet, die geilen, machtbesessenen Charakterzüge nachzuzeichnen. Diesem hohen Niveau stehen Bassist Sebastian Campione als Sparafucile und Mezzosopranistin Catriona Morison als Maddalena in nichts nach. Kein Wunder, das der Regisseur während des Schlussapplauses sie und die anderen Protagonisten dankbar umarmt. Auch der Opernchor (Einstudierung: Markus Baisch) legt eine ausgezeichnete Leistung an den Tag.
Oft ein wenig zu verhalten kommt dagegen die Musik aus dem Orchestergraben. Nicht abwegig wäre es, wenn sie gleich von der ersten Note an richtig zur Sache gehen würde. Denn das Wort Rache ist zentraler Bestandteil der Oper. Ein entschlossener Zugriff sollte dazugehören. Das Sinfonieorchester Wuppertal spielt zwar fein nuanciert und ausgewogen. Doch unter der sehr umsichtigen Leitung von Wuppertals Kapellmeister Johannes Pell wird bisweilen so vorsichtig gespielt als bestünde die Sorge, die Gesangsdarbietungen zu übertönen. Das kaum hörbare Solocello im ersten Akt verwundert. Es ist später immerhin deutlicher, dennoch zu scheu. Tuttistellen klingen streckenweise gedämpft. Das Premierenpublikum feiert alle beteiligten mit anhaltendem Beifall und Bravorufen.