Wuppertaler Bühnen Wuppertal macht Bertolt Brecht Beine

Im Opernhaus feierte "Der gute Mensch von Sezuan" unter der Regie von Maik Priebe eine umjubelte Premiere. Das kleine Ensemble kann großes Theater.

Foto: Klaus Lefebvre

Wuppertal. Der Komödie „Tartuffe“ hat Wuppertals Schauspielintendantin Susanne Abbrederis auf der großen Bühne des Opernhauses mit „Der gute Mensch von Sezuan“ ganz schwere Kost folgen lassen. Aber Regisseur Maik Priebe, der Musikalische Leiter Stefan Leibold und vor allem das Ensemble der Wuppertaler Bühnen, unterstützt vom Tanzhaus Wuppertal, machten daraus ein äußerst gut verdauliches Menü. Allen voran Lena Vogt drückte dem Abend in ihrer Doppelrolle als gute Shen Te und böser Shui Ta ihren Stempel auf. Ihre ständigen Charakterwechsel machten die Zerrissenheit spürbar, die Bertolt Brecht seinem guten Menschen auf den Leib geschrieben hat.

Brechts Stück ist mehr als 70 Jahre alt. Es entstand in einer Zeit, in der Europa und die Welt schon in den Abgrund gestürzt waren. Seine Frage, wie der Mensch sich so in der Gesellschaft bewegen kann, dass er selbst und die Gesellschaft zu ihrem Recht kommen, ist bis heute nicht beantwortet. Sie ist in diesen Tagen ganz im Gegenteil wieder erschreckend aktuell. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Terror und Unterdrückung machen überall auf der Welt Angst und schlagen den Menschen aufs Gemüt. Deshalb war es eine richtige Idee von Susanne Abbrederis, das vermeintlich angestaubte Werk auf den Spielplan zu heben.

Doch Brecht pur passt nicht in eine Epoche, in der alles immer schneller, immer animierter zugehen muss. Wer liest heute noch, wenn nicht wenigstens ab und zu ein kleines Video aufpoppt oder irgendwer irgendeinen mehr oder weniger erhellenden Spruch beisteuert, wenn nichts twittert oder plappert? Regisseur Maik Priebe weiß das vermutlich. Er gehört als Jahrgang 1977 zur Generation Digital. Also hat er Brecht beschleunigt. Die Tänzer machen Tempo, die Musik, die Stefan Leibold live auf einem von ihm entwickelten Instrument spielt, gibt dem Stück eine neuartige Kraft und hilft über die Längen hinweg, die Brechts Werk haben kann, wenn die Aufführung allein auf das Wort vertraut.

Ganz außergewöhnlich ist in der Wuppertaler Inszenierung die Szene, in der Shui Ta vor Gericht steht, wo er sich als Shin Te zu erkennen gibt. Die Schauspieler im Publikum, die Götter/Richter auf der Galerie — so entsteht echte Privatfernsehgericht-Atmosphäre. Großartig. Sehr stimmig ist auch das nüchterne Bühnenbild von Susanne Maier-Staufen. Sie verlagert das Geschehen auf eine schwarze, schiefe Ebene. Dass die Gesellschaft, wie Brecht sie offenbar empfand, den einzelnen Menschen ständig hinunterzieht, lässt sich kaum besser visualisieren.

Star der Inszenierung ist aber eindeutig Lena Vogt. Ihr sicheres Wandeln von Gut nach Böse, die tiefe Verzweiflung, die sie Shin Te gibt, die wilde Entschlossenheit, wie sie deren Vetter Shui Ta rücksichtslos und egoistisch sein lässt, trägt die Inszenierung. An ihrem Spiel manifestiert sich spürbar, was Brecht mit seinem Werk hat sagen wollen: der gute Mensch ist dumm, der böse Mensch kommt durch — aber allen geht es dabei schlecht. China ist als Handlungsort dabei eher zufällig gewählt.

Brecht selbst befand, dass sein Stück eine Parabel sei. Es ist also auf jeden Ort der Erde übertragbar. Auf die Frage, wie es denn besser sein könnte, was geschehen müsste, damit die Gesellschaft zum Wohle aller funktioniert — oder umgekehrt? —hat Brecht mit seinem Menschen von Sezuan keine Antwort gegeben. Und auch nach Brecht fand sich bisher niemand, der den Stein der Weisen gefunden hätte. Das macht dieses Werk aktuell. Denn die diffuse Sehnsucht nach Erlösung wächst offenbar. Auch in Deutschland.

Im Stück verkörpert Stefan Walz als zunehmend verzweifelnder, die yuppiehaften Götter anflehender Wasserverkäufer Wang diese Sehnsucht. Und auch er läuft zu Hochform auf, wie das ganze Ensemble an dieser beträchtlichen Herausforderung zu wachsen scheint. Nicht einmal 20 Leute bestreiten dieses bemerkenswerte, auch körperlich anstrengende Theaterstück. Philippine Pachl, Miko Greza und Alexander Peiler bewältigen dabei gar jeweils gleich vier Rollen souverän. Wuppertals kleines Ensemble kann großes Theater. Davon darf es in Zukunft gern mehr sein.