Lasst die Kirche im Dorf
So viel Leidenschaft, so viel Begeisterung ist selten im Rathaus. Leider. Schade nur, dass sich diese unerwartete Umtriebigkeit einem Ereignis widmet, dass für Wuppertal von ziemlich nachrangiger Bedeutung ist.
Ab sofort befasst sich in der und für die Stadtverwaltung beinahe eine ganze Armada von Fachleuten mit Friedrich Engels. 2020 wäre der Fabrikantensohn, Journalist und Marx-Mäzen 200 Jahre alt geworden. Durch das, was er getan und dadurch, wie er gelebt hat, gehört er ohne jeden Zweifel zu den berühmten Personen, deren Wiege im Tal der Wupper stand. Aber berechtigt das allein schon ein ganzes Festjahr mit einem Organisationsaufwand in Höhe von mindestens einer halben Million Euro?
Viele im Rathaus und im Stadtrat sagen ja. Engels macht Wuppertal bekannt, sagen sie. Außerdem feiere Trier seinen Sohn Karl Marx mit Kosten in Höhe von mehr als fünf Millionen Mark. Verglichen damit seien die 500 000 Euro für das Engelsjahr fast schon peinlich. Das mag jeder so sehen, der exponiert im öffentlichen Dienst arbeitet, wo die kleinste Recheneinheit seit quälend langen Jahren Million heißt. Für alle anderen sind 500 000 Euro noch sehr viel Geld.
Außerdem ist sicher auch die Frage erlaubt, wie das Festjahr den eingesetzten Betrag wohl verzinsen wird. Die Antwort lautet vermutlich: gar nicht. Außer Spesen nichts gewesen. Denn Friedrich Engels mag ein Unternehmersohn mit sozialem Gewissen gewesen sein und sicher auch ein guter Journalist, der die staatstheoretischen Philosophien seines Freundes und Kostgängers Marx ins Lesbare übersetzen konnte. In Barmen und Elberfeld gewirkt hat Friedrich Engels allerdings nicht. Deshalb gibt es in dieser Hinsicht auch keinen Grund, ihn besonders zu feiern. Außerdem hat das gemeinsame Schaffen von Marx und Engels nie unter einem guten Stern gestanden. Sämtliche Arbeiter- und Bauernstaaten, die sich auf die Lehre der beiden beriefen und sie dabei verrieten, haben Menschenrechte und Demokratie mit Füßen getreten und die Diktatur des Kapitals durch die Diktatur von Parteibonzen ersetzt. Das ist in China und Nordkorea heute noch so. Und das soll Wuppertal ein ganzes Jahr feiern? Auch in der Hoffnung, dass ein paar Chinesen mehr den Weg zum seltsamen Großvater-Engels-Denkmal am Opernhaus finden, um danach auf der Düsseldorfer Kö zu shoppen? Bitte nicht. Lasst die Kirche im Dorf.
Wuppertal braucht keine historische Figur, die zu einem Stadthelden stilisiert wird. Diese Stadt hat Vieles, auf das sie stolz sein kann. Die Schwebebahn, die seit 1901 Jahr für Jahr Millionen von Menschen sicher transportiert. Pina Bausch, die mit ihrem Ensemble den Tanz revolutionierte. Friedrich Bayer, Ferdinand Sauerbruch, Günter Wand, Hans-Günter Winkler, Johannes Rau verlängern die Liste der Wuppertaler, die der Gesellschaft auf ihren jeweiligen Arbeitsfeldern gedient haben. Wuppertal hat ein bürgerschaftliches Engagement, das es in dieser Form und Intensität vermutlich in keiner anderen Stadt in Deutschland gibt. Das müsste einmal gefeiert werden. Die Barmer theologische Erklärung der evangelischen Kirche gegen die Nazis hat immer wieder ein Stadtfest verdient. Und auch das Elberfelder System der Armenspeisung ist ein Stück Geschichte, auf das diese Stadt und ihre Bürger erhobenen Hauptes anstoßen dürfen. Aber Friedrich Engels?
Wuppertal sollte im Engelsgarten ein Geburtstagsfest geben, ein Wochenende an seine große, teils schwierige Wirtschaftsgeschichte erinnern, gern und verdientermaßen auch an Engels selbst und dessen Kampf für die Arbeiterklasse.
Doch spätestens am Montag danach muss es endlich um Zukunft gehen. Denn bei so vielen jungen Menschen zwischen Beyenburg und Vohwinkel sind Bildungslücken zu schließen, und es fehlen so viele anständig bezahlte, zukunftsfähige Arbeitsplätze. Diese Probleme zu beseitigen, wäre im Jahr seines 200. Geburtstags ganz im Sinne von Friedrich Engels, ein Geschenk, wie es sich der Denker und Journalist nicht schöner hätte wünschen können.