Die Entscheidung fiel erst nach 434 Minuten
Vor 70 Jahren spielte die TSG Vohwinkel in der Relegation gegen Preußen Dellbrück und verhinderte den Abstieg aus der Oberliga West.
Frühjahr 1948, der Zweite Weltkrieg war gerade drei Jahre vorbei, und die erste Saison der neugegründeten Fußball-Oberliga West ging ihrem Ende zu. Meister wurde Borussia Dortmund, Absteiger waren der Zwölfte VfR Köln und der 13., der VfL Witten. Die TSG Vohwinkel und Preußen Dellbrück mussten als punktgleiche Zehnte und Elfte (je 19:29) den dritten Absteiger in einem Entscheidungsspiel untereinander ausmachen.
Und damit begann ein Drama, das es im deutschen Fußball bis dahin nicht gegeben hatte und bis dato nie wieder gegeben hat. Denn der dritte Absteiger wurde erst nach vier Spielen und insgesamt 434 Minuten am 27. Juni 1948 entschieden. Und zwar durch ein Tor des Vohwinkelers Helmut Weiß, den man wegen seiner bescheidenen Körpermaße etwas derb nur „Köttel“ nannte.
Es begann am 2. Mai, als sich beide Teams am Flinger Broich in Düsseldorf gegenüber standen. Da die TSG die Kölner in der Meisterschaft 3:0 besiegt hatte, ging man mit großer Zuversicht in das Spiel auf neutralem Platz.
Die Preußen (heute Viktoria Köln) gingen 1:0 in Führung, der wuchtige Ben Tack glich per Elfmeter aus. Bei diesem Stand blieb es auch nach Verlängerung. Ein zweites Spiel war nötig und das ging am 20. Mai in Recklinghausen über die Bühne. Held des Tages war Vohwinkels Keeper Werner Braatz, der einen Elfmeter von Jupp Schmidt aus dem Eck fischte. Auch nach Verlängerung hieß es 0:0.
Ein drittes Match war nun nötig, denn man wollte eine Entscheidung auf dem Platz. Den damals üblichen Losentscheid lehnten beide Mannschaften kategorisch ab. Das mit 35 000 Zuschauern gefüllte Müngersdorfer Stadion war Schauplatz des dritten Aktes im Fußball-Drama. Brütende Hitze von erheblich mehr als 30 Grad und die unglaublichen Paraden des 19 Jahre alten Preußen-Torwarts Fritz Herkenrath prägten das Spiel, das wieder 0:0 endete. Vor einer möglichen Verlängerung fragte der Schiedsrichter: „Jungs, könnt Ihr noch?“ Ein vielstimmiges „Nein“ war die Antwort, und der Unparteiische gestand: „Ich auch nicht.“
Also traf man sich zu einem vierten Spiel, diesmal im Solinger Waldstadion, das 16 000 Zuschauer fassen sollte. Doch etwa 6000 Fußballfans hatten Dächer, Zäune und Bäume in der Umgebung geentert und wollten Zeugen dieses Fußball-Spektakels sein, zu dem sich beide Teams in Trainingslagern vorbereitet hatten. Die vorherige Kasernierung war angesichts der da üblichen guten Verpflegung und der angenehmen Schlafgelegenheiten recht beliebt.
Um 17.30 Uhr am 27. Juni 1948 wurde das Spiel bei Dauerregen angepfiffen. Angemerkt sei noch, dass sechs Tage vorher durch die Währungsreform die D-Mark eingeführt wurde. Deshalb musste das Eintrittsgeld in der neuen Währung entrichtet werden, was den Vohwinkelern ungewohnten Reichtum bescherte.
Das Spiel sah eine deutlich überlegene Vohwinkeler Mannschaft, die nur immer wieder an dem späteren Nationaltorwart Fritz Herkenrath (dann Rot-Weiss Essen) scheiterte, der unglaubliche Reaktionen zeigte. So ließen die Kölner Fans die mitgebrachten Brieftauben aufsteigen, die die Kunde vom torlosen Unentschieden zur Halbzeit in die Domstadt brachten.
Auch nach regulärer Spielzeit stand es noch 0:0. Es gab also erneut Verlängerung. Dann kam die 104. Spielminute und brachte die 16. Ecke für Vohwinkel: Seedler (TSG) hämmerte aufs Tor, Herkenrath wehrte ab, Winkelmeiers Schuss aufs Tor wurde von der Linie gekratzt, und dann schaltete Helmut „Köttel“ Weiß am schnellsten und knallte das Leder in die Maschen. 1:0 für die „Füchse“ aus Vohwinkel. Das war die Entscheidung nach 434 Spielminuten. Die TSG blieb in der Oberliga West und mit Preußen Dellbrück stieg der letzte Kölner Vertreter im damaligen Fußball-Oberhaus ab. (Der 1. FC Köln war im Februar 1948 gegründet worden und spielte noch keine führende Rolle im deutschen Fußball).
In offenen Lastwagen wurden die „Nicht-Abstiegshelden“ über den Kaiserplatz kutschiert, begeistert gefeiert von einer jubelnden Menge, die den Schützen des goldenen Tores immer wieder hochleben ließ. Größer war der Vohwinkeler Fußballjubel nur an jenem 4. Juli 1954, als Deutschland sensationell Fußballweltmeister wurde.