Kulturkolumne Kolumne: Wie schnell wir draußen sind...

Lukas Hegemann von der Börse berichtet von Ein- und Ausschlüssen in der Gesellschaft.

Lukas Hegemann. Foto: Heike Müller

Foto: Heike Müller

Am letzten Sonntag lud die Börse zur dritten Landpartie. Während wir bei den ersten zwei Ausflügen tatsächlich schon mit Erreichen der Nordbahntrasse ländliche Gefühle bekamen und Bauernhöfe besuchten, um dabei über das Leben „draußen“ und unsere Nahrungsmittel zu sinnieren, blieben wir diesmal städtisch und schauten uns Wohnprojekte an. Zunächst historisch: Am Sedansberg führte uns Arno Mersmann in die Katakomben des alten Vorwärts-Genossenschafts-Gebäudes, in das in den 20er Jahren die Bahn in den unteren Stock einfuhr, um die Genossenschaftler in Wuppertal mit preiswerten Nahrungsmitteln zu versorgen, und zeigte uns historische Arbeiterquartiere, auch diese teils genossenschaftlich, teils städtisch erbaut. In der Gruppe fingen wir an, über die Vorteile von Genossenschaften zu reden, und uns zu fragen, warum diese Art der Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr zur alten Größe zurückfand.

Um beim zweiten Stopp eine aktuelle Form eines gemeinschaftlichen Projektes kennen zu lernen: „Lebendiges Wohnen an der Wupper e.V.“ stellte ihre Form des Zusammenwohnens vor, indem zwar jeder seine abgeschlossene Wohnung hat, aber über Aktivitäten im Gemeinschaftsraum und Garten ein Zusammenhalt hergestellt wird, der über normale Nachbarschaft deutlich hinausgeht und Einsamkeit verhindert.

Eine ähnliche, aber im Detail doch andere Gemeinschaft lernten wir abschließend mit der „Baugruppe Malerstraße“ kennen, und die Gespräche in der Gruppe wurden intensiver. Mir stellten sich Fragen über Einschluss und Ausschluss: Wie wirkt die Welt, wenn wir es schaffen, unser Leben innerhalb einer recht homogenen Gruppe von Menschen komfortabel und harmonisch einzurichten? Ist das nicht eine Filterblase in Quadrat? Oder doch ein Fortschritt auf dem Weg zum erfüllten Leben? Wichtig und interessant zu hören, dass beide Wohngruppen verschiedene Mechanismen und Aktivitäten entwickelt haben, um „rauszugehen“, um Kontakt zu halten, um die gesamte Stadtgesellschaft weiter mitzuprägen.

Aber wer darf rein? Wer sich rechtzeitig engagiert und die jahrelangen Planungsphasen aushält (zur Zeit sind mindestens drei neue Wohnprojekte in Wuppertal in Planung), oder wer das Glück hat, einen freien Platz von einem Aussteiger zu erwischen. Immer auch ein Ausschluss. Und dann erzählt auf einmal einer der Tour-Teilnehmer (es handelte sich um eine öffentliche Veranstaltung) einer Wohngruppen-Bewohnerin etwas von „ausländerverseuchten Wohngebieten“ (wie die Malerstraße, Elberfelder Nordstadt), in die man nicht mehr ziehen könne. Hört dann gar nicht mehr auf, Vorurteile aus der AfD-Ecke wiederzugeben, solange er sich im „vertrauten Zweiergespräch“ wähnt. Natürlich hat sich dieser Teilnehmer damit selbst ausgeschlossen, Ratlosigkeit aber bei uns anderen: Wie reagieren wir auf solche Ansichten bei Menschen, die uns gerade noch „normal“ erschienen? Welchen Argumenten sind diese Leute noch zugänglich? Welche Rolle spielen wir als Kulturinstitution in dieser sich stetig verschärfenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung? Ohne richtige Antworten bin ich dann doch noch mal raus: Mit dem Fahrrad nach Düsseldorf, denn die Bahn bot nur „Schienenersatzverkehr“ - nicht mein Ding. Wie schnell ich draußen bin …