Macht und Pracht an der Münzstraße
Das Gebäude der Konsumgenossenschaft Vorwärts präsentiert sich beim Tag des offenen Denkmals am kommenden Sonntag.
„Macht und Pracht“ ist das Thema des diesjährigen „Tages des offenen Denkmals“ am kommenden Sonntag. Ein Motto, zu dem das historische Gebäude der Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ in der Barmer Münzstraße auf den ersten Blick nicht so recht passt. Doch wer auf alten Fotos die imposante Jugendstil-Fassade des vierstöckigen Baus betrachtet und Abbildungen des bestens bestückten Fuhrparks der ehemaligen Großbäckerei, Metzgerei und Kaffeerösterei sieht, der vermag den Stolz der rund 30 000 Mitgliederfamilien der damaligen Genossenschaft auf ihren Respekt einflößenden Bau nachempfinden. Vier Führungen um 11, 13, 15 und 17 Uhr bietet der Förderverein am Sonntag an.
1899 wurde die Genossenschaft „Vorwärts“ gegründet zum Zweck, die Mitglieder in den Konsumläden mit preiswerten, aber dennoch hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen. Auf dem 1905 erworbenen Grundstück an der Münzstraße entstand eine Großbäckerei, die zur damaligen Zeit beispiellos fortschrittlich und arbeitnehmerfreundlich war. Stanken Anfang des 20. Jahrhunderts die hygienischen Verhältnisse in den kleinen Bäckereien mit ihren meist im Keller befindlichen Backstuben teilweise buchstäblich zum Himmel und waren für die bedauernswerten Bäckerburschen 18-Stundentage keine Seltenheit, so war die 1914-16 erbaute Vorwärtsbäckerei ein wahrer Musterbetrieb mit Acht-Stundentag (allerdings an sechs Wochentagen) und epochalem technischem Fortschritt.
Vom Bahnhof Heubruch wurde das Mehl in Säcken über einen eigenen Gleisanschluss ins Tiefgeschoss angeliefert und per Aufzug in den dritten Stock auf den „Mehlboden“ transportiert. Von dort gelangte der Rohstoff über Trichter in die Mischmaschinen. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil in den Kleinbetrieben der Teig von den Arbeitern mit Händen und vor allem Füßen geknetet werden musste. In der genossenschaftlichen Bäckerei erfolgte alles vollautomatisch, und 26 Bäcker produzierten pro Mann 650 Kilo Brot pro Tag. In handwerklichen Bäckereien waren es lediglich 150 Kilo pro Bäcker.
1904 gab es zehn Verkaufsstellen für die Brot- und Fleischwaren, 1913 schon 51, wo zwar Männer die Leiter der Verkaufsstellen waren, jedoch Frauen adrett gekleidet hinter der Theke standen. „Das war auch ein Fortschritt für die Frauenbewegung“, so Heide Koehler, Vorsitzende des Fördervereins. Bezahlt wurde bar, und die Genossenschaftsmitglieder durften sich am Jahresende über Rückvergütungen von sechs bis acht Prozent des gekauften Warenwertes freuen. „Dafür wurden dann meist die Kohlen oder Kartoffeln für den Winter eingekellert“, erklärt Wolfgang Ebert, der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins. Die Erklärung für derartige „Wohltaten“: Die Genossenschaften ließen die Mitglieder in den Genuss ihrer Gewinne kommen.
Dem steigenden Bedarf wurden auch die Transportmittel angepasst. Was mit einem Handwagen mit vorgespanntem Hund begann, wurde mit Pferdefuhrwerken fortgeführt, und 1911 wurde der erste Lkw angeschafft, dem später eine ganze Flotte folgte.
Bis zum Kriegsausbruch 1914 hatte „Vorwärts“ pro Jahr rund 1000 neue Mitglieder zu verzeichnen, und Zusammenschlüsse mit kleineren Genossenschaften taten ein Übriges, um die Genossenschaftsbewegung zu einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Macht zu machen, die diese auch in dem höchst ansehnlichen Gebäude in der Münzstraße sichtbar werden ließ.
Gerade im Ersten Weltkrieg kam „Vorwärts“ eine wichtige Rolle in der Versorgung der „Bevölkerung zu, und der Staat erlaubte seinen Beamten sogar, Mitglied in den bis dahin eher verachteten Arbeiter- Konsumgenossenschaften zu werden. 1933 nach Machtübernahme der Nazis verfügte der Stadtrat die Überlassung des Gebäudes an die SA (Sturmabteilung der NSDAP) und demütige so die oppositionelle Arbeitsbewegung. Nach dem Krieg wurde das Areal in der Münzstraße zu einem Auffanglager für Flüchtlinge und verfiel später zusehends, ehe der zwischenzeitlich 100 Mitglieder starke Förderverein Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ es sich ehrenamtlich zur Aufgabe gemacht hat, dieses beredte Zeugnis der Genossenschaftsbewegung in Wuppertal zu erhalten.