März 1848: Beinahe eine „Revolution“ in Elberfeld
Arbeiter forderten bessere Bedingungen - die Lage blieb aber ruhig.
Frühjahr 1848 — Revolution nahezu überall in Europa, auch in Deutschland, das es als politische Einheit ja überhaupt noch nicht gab. Es herrscht Aufruhr-Stimmung, sogar in Elberfeld, dieser frühindustriellen Boomtown im Wuppertal mit dem immensen Reichtum weniger Unternehmerfamilien und der grassierenden Armut des neuen Industrieproletariates. Die Barrikadenkämpfe von Berlin und Wien, der Sturz des Systems Metternich, hatten sich auch hier herumgesprochen. „Märzforderungen“ nach allgemeinem Wahlrecht, Presse- und Vereinigungsfreiheit wurden vielerorts formuliert. Das aufstrebende liberale Bürgertum verlangte politische Machtbeteiligung, Schwurgerichte, manchmal sogar die Bewaffnung des Volkes, stets aber die Einberufung eines deutschen Parlaments.
Der preußische König reagierte wie auch andere Monarchen anfangs beeindruckt auf den „Druck der Straße“ und berief mit führenden Vertretern des rheinischen Liberalismus die ersten bürgerlichen Minister in der preußischen Geschichte. Das war wohl kalkuliert und brach der weiter möglichen Radikalisierung der Revolution die Spitze. Auch in der Stadt Elberfeld waren Anfang März 1848 die Dinge in Bewegung geraten. Auf Volksversammlungen am 6. und 9. März wurden auch soziale Forderungen gestellt: Insgesamt ging es in den Erhebungen der Arbeiter im Bergischen um nicht weniger als die Vereinbarung von Mindestlöhnen, also um frühe Tarifkämpfe. Der Düsseldorfer Regierungspräsident vermutete „kommunistische Umtriebe“ hinter dem Ruf nach Volkssouveränität, Volksbewaffnung und Verbesserung der Arbeits- und Lohnverhältnisse. Zehn Tage später, am 18. März, schien dann die Lage ähnlich wie tags zuvor bei Fabrikzerstörungen in Solingen zu eskalieren, als Militär herbeigeholt wurde, um die Beschädigung einer Weberei durch aufgebrachte Arbeiter und Handwerker zu verhindern. Dieser Militäreinsatz zum Schutz des Eigentums folgte jedoch einer stark überpointierten Darstellung der tatsächlich eher ruhigen Lage.
Bereits 1845 hatten Friedrich Engels und Moses Hess für Elberfeld festgestellt, dass das örtliche Proletariat an kommunistischen Versammlungen wohl eher desinteressiert schien. Was also stand im März 1848 auf der revolutionären Agenda? Ein politischer Elitenkonflikt zwischen rheinisch kapitalistischem Bürgertum und preußischer Aristokratie? Oder doch ein früher Klassenkampf des Industrieproletariates? Vor Ort konkurrierten die politischen Vereinigungen des Elberfelder Bürgertums untereinander: Der im April des Jahres gegründete „Politische Klub“, dessen Mitglieder vorwiegend zur Gruppe der Akademiker zählten, und der „Konstitutionelle Verein“ der Unternehmer und des gewerblichen Mittelstandes. Auf die Aktivitäten des Politischen Klubs, in dem die demokratisch gesinnte Fraktion allmählich die Oberhand gewann, gingen die großen Volksversammlungen des Jahres zurück, während der Konstitutionelle Verein eher konservativen Haltungen der Obrigkeitspolitik in Berlin zuneigte. Der Gemeinderat der Stadt wurde von den eingesessenen Honoratiorenfamilien dominiert, während die Masse der fluktuierenden und eigentumslosen Arbeiter politisch entrechtet blieb. Revolutionäre Dynamik war höchstens von dieser Seite oder aber von auswärts zu erwarten. An eine soziale Revolution dachten in diesen Märztagen die wenigsten. Sie mussten sich ein weiteres Jahr gedulden, bis 1849 der gemeinsame Kampf für eine Reichsverfassung ein kurzes revolutionäres Intermezzo in Elberfeld brachte: Barrikaden und besetztes Rathaus inklusive.