„Marx war der erste Ökologe“

Karl Marx stand im Mittelpunkt einer internationalen Tagung mit einem Vortrag von Professor Wolfdietrich Schmied-Krowarzik.

Foto: Anna Schwartz

„Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin.“ Worte, die nicht von einem konservativen Staatenlenker oder Kirchenfürsten stammen, sondern von Karl Marx selbst, der sich so über den Marxismus ausgelassen hat. „Er war nicht einverstanden mit dem, wie beispielsweise Lenin die Lehren des 1818 geborenen Philosophen interpretiert hatten“, erklärt Professor Heinz Sünker von der Bergischen Universität, die von Montag bis Mittwoch Gastgeber einer wissenschaftlichen Tagung der Promovierenden in Kooperation mit den Vertrauensdozentinnen und -dozenten der Hans-Böckler-Stiftung war.

Karl Marx, dessen Geburtstag sich am 5. Mai zum 200. Mal jährt, stand im Mittelpunkt der international besetzten Tagung, die namhafte Experten ebenso angelockt hatte wie junge Studierende, die am Montag vor allem auf den Vortrag von Professor Wolfdietrich Schmied-Krowarzik (79) gespannt waren. „Er ist einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Marxismus“, stellte Professor Sünker den Dozenten vor, der von 1971 bis 2007 an der Universität in Kassel gelehrt hat und jetzt in Wien lebt.

Der Marx-Experte ist nach wie vor ein gefragter Redner über sein Fachgebiet, musste aber zuletzt aus Krankheitsgründen alle Auftritte absagen. „Aber zu dieser bedeutenden Veranstaltung bin ich trotzdem gekommen“, verriet Schmied-Krowarzik und erzählte auch, dass er während der 1980er Jahre schlimmste Verrisse seitens der damaligen DDR über sich ergehen lassen musste. „Man warf mir vor, dass ich Karl Marx verbürgerlicht und kaputt gemachte hätte“, so der Professor, der im bestens gefüllten Hörsaal einen knapp einstündigen Vortrag zur Aktualität von Karl Marx mit anschließender Diskussion hielt.

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„Mit Aktualität ist nicht gemeint, dass die Praxisphilosophie von Karl Marx heute in aller Munde wäre, sondern ganz im Gegenteil, dass wir ihrer Wiedererinnerung bedürfen, um unsere heutigen weltgeschichtlichen Probleme kritisch klären und radikal bewältigen zu können“, sagte Schmied- Krowarzik zur Einleitung und prangerte an, dass die heutige weltgeschichtliche Situation gekennzeichnet durch eine ungehemmte Expansion der kapitalistischen Wertökonomie und eine exponentiell voranschreitende Ausplünderung und Zerstörung der Natur geprägt sei.

Der Dozent wies aber auch darauf hin, dass die Marxschen Theorien nicht zu einer Heilstheorie verklärt werden sollten, durch die alle heutigen weltgeschichtlichen Probleme zu lösen wären, wenngleich er die 2008, also anderthalb Jahrhunderte später, eingetretene weltweite Finanzkrise vorausgesehen hätte. Marx analysierte den wertbestimmenden Kapitalismus als eine Situation, in der die produzierenden Menschen nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse beherrschten, sondern die Verhältnisse stattdessen die produzierenden Menschen.

Wolfdietrich Schmied-Krowarzik hatte seinen Vortrag in drei Abschnitte gegliedert: die Kernpunkte der Praxisphilosophie von Marx, die ihre Aktualität begründet, danach die Kritik der politischen Ökonomie, ihre Besonderheit und ihre Begrenztheit sowie abschließend die Aktualität der Marxschen Philosophie angesichts der ökonomischen Krise.

Beim letzten Punkt stellte der Redner fest, dass Marx keineswegs die Natur als ein Objekt unbegrenzter Verfügbarkeit und Beherrschbarkeit angesehen habe. „Marx ist einer der wenigen Philosophen, die nicht nur die Natur als Grundlage für das menschliche Leben herausstellen, sondern auch einer der ersten Denker des 19. Jahrhunderts, der vor der Zerstörung der Natur durch kapitalistische Wertökonomie gewarnt hat.“ Ein wenig revolutionär die These: „Marx war einer der ersten Ökologen überhaupt“.

Daraus ergibt sich auch, dass es uns Menschen durch eine revolutionäre Praxis gelingen müsse, ein solidarisches Zusammenleben ökologisch eingebettet in die Natur herzustellen. „Sollte uns, unseren Kindern und Kindeskindern das nicht gelingen, so wird die ,Endzeit’ zu einem ,Zeitende’ für uns Menschen auf Erden werden“, schloss Wolfdietrich Schmied-Krowarzik seinen mit großem Applaus bedachten Beitrag.