Soziales Mehr alte Menschen bei der Wuppertaler Tafel

»S. 15 · Bei vielen Bürgern reicht die Rente nicht zum Leben. In der Tafel-Kantine ist jeder Dritte im Seniorenalter.

Auf Essens-Spenden angewiesen: Für viele Senioren ist der Gang zur Tafel mit Scham verbunden. Immer mehr wagen trotzdem den Schritt.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Auf gespendete Lebensmittel sind längst nicht mehr nur Obdachlose und Hartz-IV-Empfänger angewiesen. Wolfgang Nielsen, 1. Vorsitzender der Wuppertaler Tafel, berichtet: „Zu uns kommen immer mehr Rentner.“ Mehr Menschen ließen sich im Alter einen Tafel-Ausweis ausstellen. „Die kommen mit der Rente nicht mehr aus“, sagt Nielsen. Einige Senioren besuchen die Tafel-Läden, etwa am kleinen Werth in Oberbarmen, bei denen Bürger nach dem Nachweis der Bedürftigkeit Lebensmittel mit nach Hause nehmen dürften. Das Anstehen ist aber oft zu anstrengend für alte Menschen. „Die meisten Senioren kommen in unsere Tafel-Kantine“, berichtet Nielsen. Auch dort gibt es gratis Essen für Bedürftige. Der Anteil der Rentner an der Gesamtkundschaft wird von der Tafel nicht erfasst. Nielsen weiß aber: „In der Kantine sitzen rund ein Drittel Rentner.“ 2018 gab die Tafel in der Kantine 85 000 Portionen Essen aus.

Auch die Helfer vom Stadtteil-Service in den Stadtteilen haben mehr zu tun. Sie bringen die gespendeten Lebensmittel der Tafel zu Senioren, denen der Weg vor die Tür generell zu beschwerlich geworden ist. Der Stadtteilservice für den Ölberg beispielsweise verzeichnete einen rasanten Anstieg von bedürftigen Rentnern. „Wir versorgen aktuell 22 Senioren regelmäßig. Vor drei Jahren waren es noch fünf“, sagt Silke Costa, seit zehn Jahren pädagogische Leiterin der Awo. Nicht selten seien es alleinstehende Frauen, die sich das ganze Leben um Haus und Kinder gekümmert haben, die dann im Alter in eine finanzielle Zwickmühle gerieten. Oft scheuten sich Senioren auch, gespendete Lebensmittel anzunehmen oder die Grundsicherung vom Staat zu beantragen. „Diese Menschen wollen keine Bittsteller sein“, sagt Costa. „Wir kennen Senioren, die von 15 Euro in der Woche leben und keine Grundsicherung beantragen.“ Psychologisch schwierig ist die Situation gerade für Menschen, die teils jahrelang Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben.

Zahl der Senioren in der
Grundsicherung steigt deutlich

Der Anstieg der Altersarmut lässt sich klar aus dem Sozial- und Armutsbericht der Stadt Wuppertal ablesen. Mehr als 2600 Bürger im Alter zwischen 65 und 80 Jahren ließen 2011 ihre Rente durch die Grundsicherung - eine staatliche Leistung - aufstocken. Am 31. Dezember 2017 bezogen bereits mehr als 4100 der über 65-Jährigen Leistungen der Grundsicherung im Alter. Inzwischen sind mehr als 4200 Senioren betroffen.

Bei der Tafel hat man bereits auf die veränderte Altersstruktur der Bedürftigen reagiert. Chef Wolfgang Nielsen sagt: „Wir finden es nicht gut, wenn die Leute so lange stehen müssen.“ Über Jahre sei es so gewesen, dass der Laden um 11 Uhr geöffnet hatte und das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ galt. Das habe allerdings dazu geführt, dass sich schon ab 8 Uhr Menschen vor dem Laden eingefunden hätten, um bei der Ausgabe zu den ersten zu gehören. Inzwischen wurde ein Losverfahren eingeführt, das die Reihenfolge für die Kunden festlegt. Trotzdem bleiben Wartezeiten nicht aus. Doch Nielsen sagt: „Warten muss man auch an der Supermarkt-Kasse.“

Oberbürgermeister Andreas Mucke sagt: „Ich finde, es ist eine Schande, dass es in einem reichen Land wie Deutschland überhaupt Tafeln geben muss.“ Er setze sich daher für die Grundrente ein. Die Bekämpfung von Altersarmut sei allerdings ein Thema des Bundes und keine primäre Aufgabe der Kommune. Trotzdem gebe es viele Hilfsangebote in der Stadt. „Wir als Kommune können die Leute informieren, was es für Angebote gibt und ihnen die Scheu nehmen.“ Sozialdezernent Stefan Kühn berichtet von Ergebnissen aus dem „Bündnis für Armut“. So ist für diesen Herbst eine Informationsveranstaltung angesetzt, deren Zielgruppe ältere Menschen in Armut sind. Dabei soll es um Themen wie Grundrente und Rentenversicherung, aber auch um soziale Angebote gehen. Kühn: „Armut isoliert ja auch.“ ,