Premiere Menschen auf der Flucht gestern und heute

Heiner Bontrup gelingt mit „Die Schutzbefohlenen“ ein eindrucksvolles Programm.

Chrystel Guillebeaud vor einer Lichtinstallation von Gregor Eisenmann.

Foto: Frank N

Szenische Lesung und Musik, Tanz und bewegte Bilder – auf der Bühne des Opernhauses waren „Die Schutzbefohlenen“ ein Augen und Ohren füllendes Erlebnis. Dabei lässt sich die „Video-Suite“, wie Autor Heiner Bontrup es nennt, auf einen Satz zurückführen: „Gastrecht ist Menschenrecht“. Worte, die nach aktueller politischer Diskussion klingen – und doch mehr als 2000 Jahre alt sind.

Sie sind das Fazit, das man aus den „Schutzflehenden“ des Dramatikers Aischylos ziehen kann. In seinem Stück flehen ägyptische Frauen, die übers Meer nach Griechenland geflohen sind, um Schutz. Dieses Thema holen Bontrups „Schutzbefohlene“ in eine Gegenwart, in der Geflüchtete in Europa einen schweren Stand haben, und bereiten es mit allen zur Verfügung stehenden Kunstmitteln auf.

Dem global vernetzten 21. Jahrhundert entsprach der vielstimmige Chor, den der Leiter des Theaters Anderwelten in Szene setzte. Nachrichten-Schnipsel und Einspieler von Politikerreden passten ins Bild. Die multimediale Collage rückte die Verse der aus Deutschland vertriebenen Dichterinnen Else Lasker-Schüler und Mascha Kaléko nah heran an Texte von jungen Autoren, die vor wenigen Jahren aus Syrien oder Afghanistan geflohen sind und die sich im Poetry Project Berlin zusammengeschlossen haben.

Dr. Christoph Humburg (v.l.), Thomas Braus, Hajo Jahn, Heiner Bontrup, Birte Fritsch, Safeta Obhodaš, Mathias Nocke und Andreas Bialas diskutierten vor der Premiere über „Flucht und Vertreibung: ein Menscheitsthema?“.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Einer von ihnen, Yasser Niksada, stand mit auf der Bühne. Den Worten seiner Freunde verlieh ein gut aufgelegtes Sprecherensemble – Schauspielintendant Thomas Braus, Margaux Kier, Bernd Kuschmann – Ausdruck. Wenn es um das Thema Heimat ging, sprachen die Jugendlichen von einem tiefen Zwiespalt. Da war das Wissen, es in Deutschland gut zu haben. Und zugleich die Sehnsucht nach der alten Heimat.

Julia Wolff beeindruckt erneut in der Rolle von Else Lasker-Schüler

Julia Wolff tat sich in der Rolle von ELS hervor. Die Schauspielerin, die schon in der Inszenierung „IchundIch“ die Dichterin verkörpert hatte, überzeugte hier als Botschafterin des Werks. Ihr nahm man die traurige Hommage an Elses Exil („Gott hat Jerusalem lieb“) ebenso ab wie den utopischen Überschwang. Wenn sie ihrer Dialogpartnerin Kier den Plan eines Jahrmarkts ans Herz legte, um „die Völker zu versöhnen“, wurde aus der mitunter statischen Lesung ein echtes Schauspiel.

Ergreifend sang Kier den Soul-Klassiker „Ain’t No Sun­shine“ – nicht zufällig eine Geschichte von Einsamkeit und Verlust – und wurde dabei von Werner Dickels Kammerphilharmonie Wuppertal begleitet. Von seinem Vibraphon aus dirigierte Komponist Mathias Haus das Ensemble. Seine jazzig-tänzerische Instrumentalmusik hatte tatsächlich den Charakter einer Suite.

Vielschichtig im besten Sinne waren die Videobilder, mit denen Gregor Eisenmann den Saal bespielte. Road Movies verschmolzen mit Wuppertal-Impressionen, Textflächen mit abstrakten Mustern. Nur der Auftritt von Tänzerin Chrystel Guillebeaud fiel ziemlich kurz aus. Was nichts daran änderte, dass das Publikum alle Beteiligten mit frenetischem Applaus eindeckte.