Mit dem Schwarmmobil durchs Tal

Kolumnist Uwe Becker steht an Nikolaus ohne Schuhe da.

Foto: Joachim Schmitz

Als Kind habe ich am Nikolausabend immer meine Schuhe rausgestellt. Am Morgen darauf waren sie zwar immer noch nicht geputzt, dafür aber gefüllt mit Apfelsinen, Nüssen und einem Schoko-Weihnachtsmann. Heute lag eine angebrochene Tafel Vollmilch-Nuss-Schokolade auf meiner Fußmatte, ohne Schuhe, denn die waren alle weg. War das jetzt die Strafe für meine Gier nach zu viel Süßkram, Feigen, Datteln und Walnüssen?

Fakt ist: Meine Mobilität ist seit heute Morgen stark eingeschränkt. Für genau solche Notfälle habe ich mir die Amazon-Prime-Mitgliedschaft zugelegt. Die gerade eben bestellten Schuhe werden noch am frühen Nachmittag angeliefert. Am Abend ist Nikolaus-Kegeln mit Freunden, da kann ich natürlich schlecht in Socken auftauchen.

Begrabt mein

Herz in Wuppertal

Mein Vater ging früher jeden Dienstag kegeln, und er erzählte mir, dass man damals die Kegel selbst wieder aufstellen musste. Ab und an brachte sein Kegelbruder, ein Oberstudienrat, seinen Lieblingsschüler mit, der für diese Aufgabe abkommandiert wurde. Heute hängen die neun Kegel alle an dünnen Seilen, und eine Maschine bringt sie wieder in Stellung.

Eine knorke Idee, die auch vom Wuppertaler Unternehmer und Aktivisten Jörg Heynkes hätte stammen können, wenn ihm nicht ein anderer zuvorgekommen wäre. Heynkes und Uwe Schneidewind, der Präsident des Wuppertal Instituts, debattierten kürzlich in der Cronenberger Kulturschmiede zum Thema „Zukunftsmobilität“. Mir reichen für eine Mobilität der nahen Zukunft erstmal die neuen Schuhe, aber wie sieht es beim Verkehr der Zukunft aus?

Heynkes prognostiziert, dass es in 250 Wochen die heutigen Verkehrsmittel nicht mehr geben wird. Zukünftig würden „Schwarmmobile“ den Wuppertaler Stadtverkehr entlasten. Was „Schwarmmobilität“ bedeutet, kann man allerdings heute schon hautnah erleben, wenn man morgens um Viertel vor Acht versucht, in eine volle Schwebebahn einzusteigen. Wenn die Schwebebahn im Minuten-Takt käme, müsste man auch nicht mehr über „Schwärme“ reden.

Das größte Problem sehe ich aber bei den von Herrn Heynkes favorisierten selbstfahrenden E-Autos. Hier befürchte ich radikalen Widerspruch von automobilbegeisterten und testosterongesteuerten jungen Männern mit und ohne Migrationshintergrund. Wenn die Buben nicht mehr mit ihren getunten BMWs spazierenfahren dürfen und, am Neumarkt parkend und laut Musik hörend, lässig mit ihren Mädchen auf der Motorhaube sitzen können, sehe ich eine Gefahr für Terroranschläge: „Selbstfahrende Karren? Ey Alda, da kann ich ja gleich Taxi fahren, ich spreng Euch alle in die Luft, ich schwör´!“

Bei den Veränderungen im zukünftigen Lieferverkehr bin ich jedoch ganz bei Heynkes’ Prognosen: Flugdrohnen transportieren umweltfreundlich auf „Luftstraßen“ jede Art von Waren. Sollten die Drohnen aber, ähnlich wie viele Paketboten, gar nicht erst klingeln, sondern die Benachrichtigungskarten direkt durch den Schornstein schießen, dann ist das Geschrei auch wieder groß.

Am Ende muss man dann doch mit einem Schwarmmobil zum Postamt düsen und in einer langen Schlange warten, weil zwei der drei Roboter am Schalter gerade aufgeladen werden. Hoffentlich bleibt unser Nikolaus der Zukunft aus Fleisch und Blut.