Jiddische Festival Klezcolours Musik-Lesung: „Brooklyn - oder ein Jude geht nach Amerika“
Das jiddische Festival Klezcolours begann mit einer Musik-Lesung in der Citykirche: Auch die Freiheitsstatue kann plump und klein erscheinen.
Wuppertal. Jüdische Literatur als neue Farbe der „Klezcolours“ - das gab’s beim Festivalauftakt in der Citykirche. Mit der musikalischen Lesung „Brooklyn — oder ein Jude geht nach Amerika“ startete die Konzertreihe, die sich seit bald zwei Jahrzehnten der jüdischen Kultur widmet.
Vor gut 90 Zuhörern las der Berliner Oskar Ansull Texte des modernen Klassikers Joseph Roth und— eine echte Entdeckung — dessen Zeitgenossen Hermann Grab. Die Musiker des Trios Oyftref aus Hannover begleiteten den Vortrag auf Violine, Akkordeon und Klarinette und spielten zwischendurch jiddische Lieder, klassische Themen und frei Improvisiertes.
Die abgewetzten Reisekoffer auf der Bühne machten klar, dass es um den New Yorker Stadtteil Brooklyn als Reiseziel, ja als Fluchtpunkt ging. Festivalorganisatorin Roswitha Dasch führte in den Abend ein. Um Verfolgung zu entgehen, hätten um 1900 viele osteuropäische Juden die ungewisse Fahrt übers Meer auf sich genommen. Das sei - wie die heutigen Fluchtbewegungen zeigten - „immer noch ein aktuelles Thema“.
Es ist aber auch ein Thema mit einer langen Geschichte. „Und du, getreuer Westwind, treib mein Schiff zu jenem Ufer“ - das jiddische Lied, das Stefan Goreiski von Oyftref sang, geht auf mittelalterliche Verse zurück. Der Vorleser schloss direkt daran an. „Amerika heißt die Freiheit“, zitierte er Joseph Roth. Noch besser: „In Amerika lebt immer irgendein Verwandter“, sagte er erleichtert, und das Publikum schmunzelte.
Roth hat dieses „Land der Freiheit“ nie gesehen. Auf der Flucht vor den Nazis starb der jüdische Autor in Paris. Doch wie kein zweiter konnte er sich in die Auswanderer einfühlen. Diese Sensibilität schwang in Ansulls ausdrucksvoller Stimme mit, die selbst Umständen wie der Quarantäne-Haft für Immigranten eine komische Note gab. Dazu passend sang Geigerin Annette Siebert das Lied „Wot ken ju mach? Es is Amerike!“, bei dem sich achselzuckende Resignation mit Humor mischte.
Einen anderen Blick auf New York warf der Rezitator mit „Hochzeit in Brooklyn“. Es war der Blick nach 1933 und Kriegsbeginn 1939. Die zarten Töne aus Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“, von Thomas Siebert auf der Oboe gespielt, leiteten die Erzählung des Prager Musikers Schriftstellers Hermann Grab ein. Nüchtern, fast unterkühlt schilderte Ansull ein Emigrantenschicksal. Knapp dem KZ entkommen, erschien dem Flüchtling die Freiheitsstatue — bei Roth ein Symbol der Hoffnung — als „klein und plump“.
Auch die Begegnung mit der Verwandtschaft ließ, ausgerechnet bei einer Hochzeitsfeier, keine Heimatgefühle aufkommen. Der Gegensatz zwischen den wohlhabenden Amerikanern und dem Flüchtling, der seine Habe in den Hosentaschen trug, war nicht zu überbrücken.
Ansull gelang das Kabinettstück, jedes Mitglied der Hochzeitsgesellschaft mit wenigen Worten und fast ohne Gesten lebendig zu machen. Man lachte - und erschrak gleichzeitig über die Mischung aus Unwissenheit und Gehässigkeit, die der Neuankömmling („sein Englisch war mangelhaft“) über sich ergehen lassen musste. Annette Siebert und ihre Kollegen trugen die nuancierte Lesung mit. Instrumentale Einwürfe sorgten für Zäsuren im Text. Dann wieder untermalte das Trio Ansulls Worte mit Eigenkompositionen oder Improvisationen. So enstand eine atmosphärisch dichte Collage. „Schön!“, meinte eine Zuhörerin. Der Schlussapplaus fiel entsprechend kräftig aus.