Herr Schneider, wie geht es Ihnen?
Intendant der Wuppertaler Oper „Orchester und Chor sind die größten Hürden“
Wuppertal · Berthold Schneider, Intendant der Wuppertaler Oper, setzt sich für einen zügigen Zeitplan zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs ein.
Seit mehreren Wochen sind die Theaterhäuser wegen der Corona-Krise geschlossen, eine baldige Wiedereröffnung scheint wegen der großen Besuchermenge unrealistisch. Vor einer Woche forderten deshalb sieben Opern in NRW „einen realistischen und zügigen Zeitplan zur Wiederaufnahme des Vorstellungsbetriebs“. Nun reagiert die Landesregierung. Am Donnerstag gab Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) bekannt, dass kleine Theater, Opern und Kinos in Nordrhein-Westfalen ab dem 30. Mai unter strengen Auflagen wieder öffnen, große zur nächsten Spielzeit ab dem 1. September nachziehen dürfen. Berthold Schneider, Intendant der Wuppertaler Bühnen, gehört zu den Unterzeichnern des Appells und hat sich Gedanken über eine Exitstrategie aus dem Exit gemacht.
Berthold Schneider: Körperlich geht es mir gut. Ansonsten ist es bitter: die leeren Theater, die ängstlichen Menschen, die vielen Absagen. Wir werden zwar die meisten Premieren verschieben können, etwa das Festival „Sound of the City“. Aber einiges werden wir auch verlieren. Zum Beispiel die 100 Viertklässler, die bei „Ein Sommernachtstraum“ von Benjamin Britten mitwirken sollten. Wir mussten die Community-Oper absagen und haben dafür die Kinder einzeln angeschrieben.
Wie kam es zur Initiative der Opern in NRW?
Schneider: Sie ist die Reaktion auf ein Papier des Städtetages, das uns hochgradig alarmiert hat. Und das nicht mit uns ab-, be- oder -vorbesprochen wurde. Es beschreibt, dass Opern und Sinfoniekonzerte erst wieder gespielt werden dürfen, wenn der Zustand vor der Corona-Krise erreicht ist. Wir fanden, dass das nicht der richtige Weg ist. Die Oper als Form sollte nicht verboten, sie sollte differenziert betrachtet werden. Es sollten medizinisch begründete Regeln aufgestellt werden, die eingehalten werden müssen. Das Papier lag zunächst im Opernstudio NRW vor, in dem wir mit Dortmund, Essen, Gelsenkirchen verbunden sind. Wir waren uns einig, ein Schreiben aufzusetzen und den Kreis schnell zu erweitern. Detmold, Krefeld/Mönchengladbach und Münster kamen hinzu. Dass wir nicht für alle Häuser sprechen, war der Dringlichkeit geschuldet.
Sie fordern in Ihrem Schreiben eine verantwortungsvolle Exit-Strategie. Wie soll sie aussehen?
Schneider: Zuallererst muss die Gesundheit der Menschen, im Zuschauerraum und auf der Bühne, gewährleistetet sein. Dann geht es darum, dass Kunstschaffende ihre Stimme erheben, die Gesellschaft auf Dinge aufmerksam machen können. Nicht als Spaßbox, sondern als Resonanzraum, für sozialen Austausch. Dafür brauchen wir einen Zeitplan, wir können Theater nicht einfach an- und ausschalten. Im Schnitt braucht ein Stück anderthalb bis zwei Jahre der Vorbereitung. Wenn wir jetzt zehn Wochen sagen, ist das schon sportlich. Wir wollen mit Kunst substanzielle Aussagen treffen, dafür brauchen wir Vorgaben. Der Aufführungsstopp war alternativlos, aber jetzt geht die Pandemie in eine neue Phase. Infektionen werden im Einzelfall nachvollziehbar, da müssen wir nicht mehr mit Schrot schießen, sondern gezielt und verantwortungsbewusst eingreifen. Darüber müssen wir einen Dialog führen.
Heißt im Einzelnen?
Schneider: Wir müssen auf jeden Aspekt einer Aufführung aus der Corona-Perspektive schauen. Die Voraussetzungen des Hauses, wie die Zuschauer sitzen, wie die Mitarbeiter ins Theater kommen. Orchester und Chor sind sicherlich die größten Hürden. Beim Singen tritt viel Atemluft, in der Viren gefangen sein können, aus. Bläser müssen anders behandelt werden als Streicher. Aber man könnte einen Chor unter bestimmten Voraussetzungen zum Beispiel konzertant singen lassen, Stücke mit kleinen Besetzungen spielen. Wir halten erstmal am Spielplan für 2020/21 unverändert fest. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass das klappt. Auch was unsere erste Premiere in der neuen Spielzeit am 13. September angeht. Bis dahin muss alles geklärt werden, was Orchester, Chor, Zuschauer und Akteure auf der Bühne angeht.
Sie fordern eine Gleichbetrachtung von Kultur, Sport, Religionsgemeinschaften und Wirtschaft.
Schneider: Wir sind gegen eine einzelne Wertung der Wichtigkeit. Wir wollen erfahren, welche Anforderungen wir erfüllen müssen, damit die Menschen sicher sind, ohne dass jemand gesundheitlich beeinträchtigt wird. Es gibt Menschen, die brauchen die Kultur zum Atmen.
Wie sieht es um die finanzielle Situation der Oper im Hinblick auf die frei Beschäftigten aus?
Schneider: Ich bin dankbar, dass die Politik uns den Rücken stärkt, so dass wir die Verträge zum größten Teil ausbezahlen und so zum Überleben der freien Künstler beitragen konnten.
Wie sieht es mit dem Probenbetrieb aus?
Schneider: Im Moment finden ausschließlich musikalische Proben statt: Ein Mensch singt, einer begleitet am Klavier, beide halten Abstand in einem großen Raum. Wir wollen Liederabende bei beschränkter Zuschauerzahl wenn möglich noch in dieser Spielzeit realisieren. Die szenischen Proben mit der Original-Regie für die erste Premiere waren für den 15. Juni vorgesehen. Die können wir zur Not natürlich erstmal anders gestalten. Wir können zum Beispiel die vorgesehenen Videosequenzen drehen. Man kann eine Menge unterhalb von „boy meets girl, sie umarmen und küssen sich“ probieren.
Wie geht es dem Opernensemble?
Schneider: Die sieben Sängerinnen und Sänger unseres international besetzten Ensembles haben wir nach der Schließung erstmal zu ihren Familien nach Hause geschickt, mittlerweile haben wir sie zurückgeholt, zwei sind noch in Quarantäne. Allen geht es gut.