Per Smartphone durchs Opernlabyrinth
Bei der Oper „La Liberazione“ erleben die Zuschauer das Geschehen direkt auf der Bühne und über das Internet.
Das Musiktheater hat sich über die Jahrhunderte kontinuierlich weiterentwickelt. Zeitgenössische Komponisten haben nie daran gedacht, wie anno dazumal zu schreiben. Werke vergangener Jahrhunderte werden heute nicht mehr so inszeniert wie zur Zeit ihrer Entstehung. Inzwischen hat auch die Digitalisierung in der Oper Einzug gehalten. Bei der Inszenierung der Oper „La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ (Die Befreiung Ruggieros von der Insel Alcinas) von Francesca Caccini aus dem Jahr 1625 setzen die Wuppertaler Bühnen zudem auf Interaktion.
Denn Smartphones und Tablets sind willkommen. Und noch etwas: Man sitzt nicht mehr einfach im Parkett und auf den Rängen, schaut auf die Bühne und erfreut sich an den Klängen aus dem Orchestergraben. Stattdessen kann sich das Publikum mitten ins Geschehen mischen.
Man schlendert vom Kronleuchterfoyer ins Parkett und nimmt dort erst einmal gemütlich Platz. Dann erscheint Wassergott Neptun alias Sangmin Jeon im schwarzen Anzug (Bühne und Kostüme: Anja Brunnlechner) auf der Brücke zur Bühne mit seinem Prolog.
Anschließend lädt Mark Bowman-Hester im braunen Geschäftsanzug als Vistula (polnisch für den Fluss Weichsel) das Publikum kavaliersmäßig ein, ihm auf die Bühne zu folgen, welche die Liebesinsel ist. Man lässt sich nicht zweimal bitten, steht dann im Dunkeln und blickt in den Bühnenkeller.
Dort geistern in einem Labyrinth aus schwarzen Vorhängen Menschen herum, die von der bösen Zauberin Alcina verwunschen sind. Die gute Fee Melissa taucht im Publikum auf und betont, dass sie den Ritter Ruggiero aus der Macht Alcinas erlösen will, um ihn zu seiner Braut Bradamante und somit ins reale Leben zurückzuholen.
Dann wird das Hubpodest hochgefahren und den Gästen steht es offen, ob sie sich als Teilnehmer des Stücks in das Labyrinth der Liebesinsel begeben, draußen als Zuschauer alles beobachten oder anhand der App den Focus auf Alcina, Ruggiero oder Melissa legen wollen.
Man kann also aus unterschiedlichen Perspektiven mitverfolgen, wie der Kampf zwischen den beiden Frauen vonstatten geht, Ruggiero zur Einsicht gebracht wird und Alcina schließlich am Ende den Kürzeren zieht.
Düster, schwarz-weiß bleiben bis zum Schluss der Ort des Geschehens und die Kostüme, auch als zu guter Letzt das Labyrinth oben im Schnürboden verschwindet, der Lappen zum Auditorium hochgeht und dort der Männerchor den Zuschauern Beifall zollt.
Alles bekommt man natürlich nicht mit. Denn der Blickpunkt ist immer ein anderer, je nachdem, wie man sich auf das Geschehen einlässt. Das Regieteam vom Musiktheaterkollektiv Agora (Benjamin David und Anna Brunnlechner) hat sich zudem ein paar Finessen einfallen lassen. So versucht etwa Melissa, Alcina über virtuelle Medien zu bekämpfen, indem sie sich an Kabeln zu schaffen macht und so ihren Account hacken will.
Kleine Nachbesserungen (Updates) hinsichtlich der Technik sind noch vonnöten: informativere Einblendung der Übertitel auf das Tablet, eine bessere Videoqualität und Synchronizität zum Gesang.
Musikalisch ist die Inszenierung ein Genuss. Ebenfalls auf der Bühne sorgt Dirigent Clemens Flick vom Cembalo aus mit einer kleinen Streichergruppe des Sinfonieorchesters Wuppertal, Michael Cook an den Tasteninstrumenten und zwei Barockspezialisten an der Theorbe und historischen Holzblasinstrumenten für erstklassige barocke Klänge.
Dazu schlüpfen gesanglich wie charakterlich die drei Protagonisten Ralitsa Ralinova (Alcina), Joyce Tripiciano (Melissa) und Simon Stricker (Ruggiero) in allen Belangen überzeugend in ihre Rollen. Auch die kleineren Solopartien und der Opernchor (Einstudierung: Markus Baisch) sind stimmliche Glanzpunkte.
Aufgeschlossen zeigt sich das Premierenpublikum, das schließlich lang anhaltend und teils begeistert applaudiert.