Herr Sack, wie erreichen Politiker heutzutage Menschen?
Professor Detlef Sack im Interview Politikwissenschaftler der Uni Wuppertal blickt für die WZ auf den Wahlkampf
Wuppertal · „Die sozialen Medien spielen keine so große Rolle, wie viele denken mögen.“
Der Politikwissenschaftler Professor Detlef Sack ist seit 2021 an der Bergischen Uni Wuppertal tätig und beschäftigt sich insbesondere mit den Themengebieten Demokratietheorie und Regierungssystemforschung. Er betrachtet mit uns den aktuellen Wahlkampf aus wissenschaftlicher Sicht: Wie wird politische Meinung gebildet? Welchen Einfluss haben Soziale Medien und was bringen eigentlich Wahlplakate?
Detlef Sack: Es gibt da die „klassischen“ Methoden: Die Kandidaten müssen in ihrem Wahlkreis für die Wählerinnen und Wähler sichtbar sein. Das können Kugelschreiber oder andere Give-Aways sein, die in der Fußgängerzone verteilt werden. Der Besuch im Seniorenheim, bei Veranstaltungen. Oder eben auf Wahlplakaten und Flyern.
Ist die Sichtbarkeit dabei das wichtigste?
Sack: Es ist unabdingbar, die Person in den Mittelpunkt zu stellen. Im deutschen Wahlsystem ist es wichtig, herauszuarbeiten, wo die jeweilige Stärke des Kandidaten liegt, etwa eine starke Persönlichkeit, eine gute Vernetzung oder Geschichte im Wahlkreis, eine Achtung der Person über Parteigrenzen hinweg? Oder ist man ganz neu und muss eher auf die Parteikarte setzen?
Auf welche Fragen müssen die Kandidaten vorbereitet sein?
Sack: Die wohl wichtigste dürfte sein: Was nützt die Kandidatur und ein mögliches Mandat im Bundestag den Menschen aus dem Wahlkreis? Das kann man besonders gut durch persönliche Sichtbarkeit in den Vordergrund stellen. Dazu gehören dann aber auch lange Tage, auch am Wochenende, insbesondere im Wahlkampf.
Was wäre eine „moderne“ Methode?
Sack: Die Sozialen Medien spielen keine so große Rolle, wie viele denken mögen. Als Politiker muss man daher über den Aufwand nachdenken, den man betreiben möchte. Social Media ersetzt im Grund genommen nichts, sondern sattelt auf. Dafür muss man aber auch eine Neigung für das Medium haben, damit das klappen kann.
Dass gerade die rechtspopulistische AfD sehr viel Reichweite auf Sozialen Plattformen hat, beunruhigt viele.
Sack: Hier muss man auch auf den Kontext und vor allem den Algorithmus schauen: Wird ein Beitrag viel kommentiert, vor allem negativ, wird er häufig höher im Ranking eingestuft und öfter ausgespielt.
Also wäre es ratsam, die Bedeutung der Sozialen Medien geringer einzustufen?
Sack: Zumindest sollte man sie gelassener betrachten im Hinblick auf das Aufregungsmanagement, das auch durch Algorithmen produziert wird.
Was beeinflusst die Entscheidung der Wähler denn sonst?
Sack: Die politische Sozialisation beginnt in der Familie, geht über den Freundeskreis weiter. Politischer Bildungsunterricht ist spannend und wichtig, aber gar nicht so wichtig in dieser Meinungsbildung. Man wählt gewissermaßen aus einem Milieu heraus, dem man zugehörig ist. Dann erst kommen weitere Punkte hinzu, etwa die Sozialen Medien.
Aber gerade junge Menschen nutzen solche Medien sehr viel.
Sack: Das ist richtig, aber das, was sie liken, haten, kommentieren und weitersenden, verändert nicht unbedingt ihr politisches Wertegerüst.
Kommen wir auf Wahlplakate zu sprechen. Welche Funktion erfüllen die?
Sack: In den meisten Fällen haben sie eine Bestätigungs- und Erinnerungsfunktion, das gilt auch für Beiträge in den Sozialen Medien. Wenn man sich nicht aus beruflichem oder privatem Interesse häufig bis täglich über das politische Geschehen informiert, woher weiß man dann – auf Dauer -, dass Wahl ist?
Aber die Inhalte der Plakate sind ja nicht unbedingt vielsagend – und immer häufiger sehr ähnlich.
Sack: Die Plakate sollen in erster Linie Assoziationen wecken und keine programmatischen Aussagen machen. Sie vermitteln eher bestimmte politische Werte. Wichtig sind noch Farbe, Ästhetik, die Menschen darauf.
Wie können sich die Menschen dann über die Programme informieren?
Sack: Erst kürzlich erschien eine Studie, wonach man die Programme eigentlich nicht verstehen kann. Als Wähler würden Sie immer sagen: Bis ich da durch bin, einfache Sprache ist das auch nicht… das trifft sicherlich auf die meisten Menschen zu. Deshalb ist es wichtig, hier auf nicht mehr ganz so neue digitale Tools wie den Wahl-O-Mat zurückzugreifen. Das spricht die rationale Seite bei den Menschen an, während die vorher genannten Punkte, Plakate und Soziale Medien, sich eher an die emotionale Seite richten.
Der Wahl-O-Mat orientiert sich am Wahlprogramm, neuer ist da der Real-O-Mat, der zeigt, wie die großen Parteien in der letzten Legislatur abgestimmt haben.
Sack: Das ist eine wichtige Innovation, schließlich kann man so einfach sehen, wie sich die Parteien dann auch in der Realität verhalten haben.
Wenn wir nun noch auf den Wahlkampf in Wuppertal I blicken – wie würden Sie da die Kandidaten hinsichtlich der oben angesprochenen Faktoren einordnen?
Sack: Thomas Haldenwang (CDU) kommt von außen – was nichts über seine Qualifikation aussagt. Aber er hatte als sehr hoher Beamter schlicht eine andere Rolle inne und demnach weniger Präsenz als Anja Liebert (Grüne) oder Helge Lindh (SPD), die beide von hier kommen und bereits eine Legislaturperiode lang im Bundestag sitzen.
Könnte das zu Problemen führen?
Sack: Es sind schlicht andere Herangehensweisen. Bei der CDU setzt man auf die Bekanntheit als Bundesverfassungsschutzpräsident; eine politische Wette. Der SPD-Kandidat ist in meiner Wahrnehmung mit den Plakaten wirklich sehr präsent. Das noch mit Sichtbarkeit in Berlin zu vereinen, ist durchaus bemerkenswert. Liebert fällt da nicht so sehr auf, aber sie blickt natürlich auf eine lokale Geschichte zurück.