Literaturfest Siebte Wuppertaler Literatur-Biennale im Mai – Darauf können sich die Besucher freuen
Wuppertal · Neun Tage im Zeichen literarischen Verschwindens.
Verschwinden kann vieles: der digitale Fußabdruck, ein Mensch, eine Tierart, ein Beruf, eine Sprache, Erinnerungen und Utopien. In der Literatur, die das Verschwinden durch Sprache festhält und greifbar macht, verschwindet schon mal ein ganzes Dorf. Und dient der Verlust schon mal dem Neubeginn. Die siebte Wuppertaler Literatur Biennale nimmt sich des Verschwindens an – mit 30 Veranstaltungen an 20 Orten und über 60 Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus Stadt, Region und dem ganzen deutschsprachigen Raum. Mit Neuheiten und altbewährten Formaten, mit der Verleihung ihres Nachwuchspreises trägt sie vom 3. bis 11. Mai ihr „Fest für zeitgenössische Literatur“ in die Stadt, freut sich Kulturdezernent Matthias Nocke.
Literaturfestivals gibt es viele, Wuppertal hebt sich traditionell ab durch „sein virulentes, gesellschaftliches, politisches Thema“, immer wieder Angebote, „die genussvoll lesen lassen“, Lesungen, Autorengespräche und diskursive Treffen, erzählt Bettina Paust, die das Kulturbüro leitet und damit die Stelle in der Verwaltung, die das alle zwei Jahre stattfindende Festival veranstaltet. Auf immer professionellere Art und Weise, lobt Paust und meint damit das eingespielte Kuratorium (Ruth Eising, Torsten Krug, Thorsten Krämer und Julia Wessel) samt neuer Projektleiterin (Gesa Hocke).
Das Team sucht Kooperationen, bemüht sich, die freie Szene personell und durch Veranstaltungsorte ebenso einzubinden wie die bekannten Player, bereits arrivierte Autoren und Autorinnen zu gewinnen, junge zu fördern und gerade angesagte zu holen. So gibt es den zweiten Regionaltag mit Wiedergängern und Neuen – wie Hans-Werner Otto, Patrick Salmen und Emily Jeuckens (Preisträgerin früherer Jahre), die ihren ersten Roman vorstellt – und mit neuen Formaten, die erstmals über einen „Open Call“ ermittelt wurden: Ida Schiele und Avan Amir Weis steuern nun den Workshop „Grieving Spaces“ bei, in dem Menschen ihren Verlust literarisch ausdrücken und präsentieren können. Decolonize Wuppertal kümmert sich um das Schicksal der 17-jährigen Indigenen Sussy Dakaro, die im Wuppertaler Zoo ausgestellt wurde und 1885 starb.
Die Organisatoren nennen viele Highlights: Da ist der vielfach ausgezeichnete Michael Kohlmeier, der zur Eröffnungslesung sein neues Buch „Das Philosophenschiff“ mitbringt. Da ist Helgard Haug, die „Rimini Protokoll“ mitbegründet hat und einen Roman beisteuert, der das Verschwinden eines Flugzeugs mit dem des eigenen Vaters literarisch verknüpft („All right. Good night“). Da ist der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Raoul Schrott, der „Inventur des Sommers“ unter dem Eindruck von Lockdown und Pandemie schrieb. Und da ist Bestsellerautorin Melanie Raabe, die im Polizeipräsidium ihren Thriller „Die Kunst des Verschwindens“ vorstellt. Ergebnis einer Kooperation ebenso wie zwei Lesungen mit Verónica Gerber Bicecci (“Lere Menge“) und Trifonia Melibea Obondo Ntutumu (“Wohin verschwinden die anderen?“), die mit dem Romanistischen Seminar der Universität bewerkstelligt werden.
Von Debütromanen, Lyrik
und Diskussionen
Ihre Debütromane stellen vor: Johanna Seebauer, die das Dorf „Nincshof“ verschwinden lässt. Jennifer Becker, in deren Millenniumroman „Zeiten der Langeweile“ sich eine Frau aus der digitalen Welt löscht. Ned Beauman, der dem „Gemeinen Lumpfisch“ ein Denkmal setzt, weil dessen Lebensraum vernichtet wird. Oder Kerstin Höller, die in „Leute von Früher“ einer verschwundenen Insel im nordfriesischen Wattenmeer auf die Spur kommt. Mit Jan Kuhlbrandt („Krüppelpassion“) und Ronya Othmann („Vierundsiebzig“) kommen ein Autor und eine Autorin, die gerade viel von sich reden machen. Um Lyrik geht es bei Jürgen Nendza („Auffliegendes Gras“) und Pegah Ahmadi („Wucht“). Bei zwei Diskursveranstaltungen, die Aal Dardan kuratiert, tauschen sich Schriftsteller zusammen über ein bestimmtes Thema aus. Im Schauspielhaus werden einmal das Verschwinden der Utopien und einmal das der Erinnerung thematisiert.
Die Biennale-Rede zur Verleihung des Literaturpreises hält die Journalistin Lena Gorelik („Wer wir sind“).