Stücke mit aufwendigen Kostümen sind die schönsten

Renatus Matuschowitz ist Herrenmaßschneider und Ankleider im Abenddienst bei den Wuppertaler Bühnen.

Stücke mit aufwendigen Kostümen sind die schönsten
Foto: Stefan Fries

Er ist die „Mutti für alles“ — jedenfalls während der Vorstellung am Abend, wenn er die Künstler einkleidet, dafür sorgt, dass alles an seinem Platz ist, kleinere Reparaturen sofort erledigt und auch schon mal für gute Stimmung sorgt, wenn der eine oder andere dem Lampenfieber zu erliegen droht. Renatus Matuschowitz ist Herrenmaßschneider und Ankleider im Abenddienst bei den Wuppertaler Bühnen, beim Tanztheater Pina Bausch und manchmal auch beim Sinfonieorchester. Ein abwechslungsreicher und wichtiger Job, den der 33-Jährige seit einem Jahr ausübt, möglichst unbemerkt von den Zuschauern.

Was macht ...

ein Herrenschneider bei den Bühnen

Gestrickt und gehäkelt habe er eigentlich schon immer gerne. Außerdem gab es da die Oma, die ständig mit Handarbeiten beschäftigt war, antwortet Matuschowitz, der in der Nähe von Frankfurt (Oder) aufwuchs, auf die Frage, wie er zum Nähen gekommen ist. Gleichwohl studierte er nach dem Abitur erstmal Verkehrsingenieurwesen. Arbeitete nach dem Abschluss an der Universität weiter. „Ich merkte rasch, dass ich das nicht die nächsten 30 Jahre machen wollte“, erinnert er sich. Er besorgte sich kurzerhand eine Nähmaschine und brachte sich das Nähen mit Unterstützung von Youtube-Filmen und Büchern selbst bei. „Ich kam beim Nähen in einen Flow und vergaß die Zeit.“ Nach Praktika in Schneidereien in Leipzig entschloss er sich zum Wechsel, bewarb sich um eine Schneider-Ausbildung am Theater, „weil dort die Vielfalt größer ist, was Kleidung und Materialien angeht“. Auf diese Weise kam er 2014 nach Wuppertal, absolvierte eine Ausbildung zum „Maßschneider, Fachrichtung Herren“ bei den Wuppertaler Bühnen und wurde 2017 übernommen. „Ich habe meinen Traumjob gefunden. Die Tage vergehen im Nu — ganz anders als früher“, sagt Matuschowitz und strahlt. Spätere Meisterausbildung nicht ausgeschlossen.

In der Herrenschneiderei der Bühnen im Musikhaus in Barmen ist er einer von sieben Gesellen. Außerdem gibt es noch zwei Auszubildende, eine Ausbilderin und natürlich die Gewandmeisterin, mit der die Kostüme besprochen werden. Matuschowitz: „Wir nähen zusammen, historisch und heutig, setzen technisch um, was Regisseur und Kostümbildner vorgeben.“ Das fällt mal mehr, mal weniger konkret aus, basiert auf Zeichnungen oder Fotos; lässt der Umsetzung mal mehr, mal weniger kreativen Freiraum. Immer müssen die Schneider aber dafür sorgen, dass die Kostüme praktisch sind, ein schnelles Umziehen erlauben. Dafür seien Geduld, Gespür für Textilien, Form und Farbe, dreidimensionales Vorstellungsvermögen nötig. Nach einer Anprobe, zu der die Gewandmeisterin die Künstler in der Werkstatt empfängt, „kriegen wir die Kostüme zurück und machen sie fertig“.

Außerdem passen die Herrenschneider Kostüme aus dem Fundus an, reparieren Lädiertes, wenn dies nicht schon im Abenddienst geschehen ist. Am häufigsten sind gerissene Schnürsenkel, losgelöste Knöpfe oder geplatzte Nähte im Schritt. Ansonsten schmeißt der Abenddienst schon mal die Waschmaschine an, um Kunstblut, Nässe oder auch Schlamm aus der Kleidung zu entfernen oder schleudert klamme Kleidungsstücke in der Pause trocken.

Vor allem aber kleidet er die Künstler ein, hilft beim schnellen Umziehen hinter der Bühne. Eine (an-)spannende Arbeit, die stets unter Zeitdruck und nicht selten zeitgleich mit einer Änderung der Maske geschieht. Beim Tanztheater-Stück „Seit sie“ von Dimitris Papaioannou, erzählt Matuschowitz, war er die ganze Zeit hinter einem schwarzen Matratzenberg auf der Bühne verborgen, musste dort einen Tänzer in Papier so einwickeln, dass er später auf der Bühne wieder entwickelt werden konnte. Das Ganze geschah möglichst unsicht- und unhörbar. Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Wachsamkeit seien dafür schon nötig, sagt Matuschowitz, der Stücke mit aufwendigen Kostümen liebt. Und wenn er dann im Abenddienst auch noch „Kostüme in der Hand hat, die ich selbst genäht habe, dann ist das optimal“.