Aufführung Tanzabend in Wuppertal: Geheimnisse und Verstecktes unter ein und demselben Dach

Wuppertal · „Les Voisins du Dessous“ – Tanzabend zweier Compagnien auf der Insel.

„Les voisins du dessous“: Hier sind Narumi Saso und Baptiste Bersoux zu sehen.

Foto: Les voisins du dessous

In einem Haus können Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen nebeneinander existieren. Dieses Bild lässt sich auf den Tanzabend „Les voisins du dessous“ übertragen, der am Wochenende über die Bühne des Insel-Vereins im Café Ada ging. Unabhängig voneinander und doch benachbart spürten hier die Tanzcompagnien „Les Enfants du Pain Perdu“ und „Entretemps“ den Geheimnissen nach, die unter ein und demselben Dach schlummern.

Die Vorliebe für starke Bilder spricht aus dem Namen der „Enfants du Pain Perdu“, der sich sowohl auf den Kinoklassiker „Les Enfants du Paradis“ als auch auf die französische Variante des Rezepts „Armer Ritter“ bezieht. Narumi Saso und Baptiste Bersoux bilden das Duo. Seine Spannung bezieht es auch daraus, dass sie vom Tanz im engeren Sinn, er mehr vom Zirkus kommt.

An Akrobatik fehlte es denn auch nicht bei der Aufführung ihres Stücks „Madame Potiron“. Amüsiert sah das Publikum zu, wie das Paar mit wechselnden Gegenständen jonglierte oder auf einem großen Regal in der Bühnenmitte herumturnte. Für Lacher sorgten Saso und Bersoux besonders dann, wenn ihre Körper zur Einheit „verschmolzen“. Es brauchte nur ein Bettlaken, und schon galoppierten sie als Zirkuspferd los.

So wie die titelgebende „Madame Potiron“ auf den Kürbis anspielt, der für Aschenputtel in eine Kutsche verwandelt wird, erinnern viele Requisiten an Märchenmotive. Da lässt ein Korb voller Äpfel Böses ahnen. Sasos Biss in den Apfel ist Auslöser für eine Tanznummer, bei der sie kunstvoll schwankt und sich windet. Als ihr Partner von der Frucht nascht, geht er als komödiantischer Adam zu Boden.

Über weite Strecken erinnern Saso und Bersoux an Kinder, die aus den Nischen eines Hauses vergessene Dinge hervorkramen und eine Fantasiewelt entwickeln. Doch als eine Hochzeitsfanfare erklingt, scheint sich der Ernst des Lebens anzukündigen. Dabei nimmt das Spiel erst richtig Fahrt auf. Die ungleichen Brautleute liefern sich eine Verfolgungsjagd, die beide an den Rand der Erschöpfung bringt. Für kurze Momente ergeben sich harmonische Begegnungen. Am Ende kriegen sie sich nicht. Vom glücklichen Paar bleiben nur zwei Puppen, die Bersoux zurück ins Regal stellt.

Intimer und inhaltlich geschlossener ist das Stück von „Entretemps“. Die Compagnie besteht aus der Pina-Bausch-Tänzerin Bénédicte Billiet, ihrer Tochter Sophia Otto und Valentina Morales. Das Trio schloss sich 2019 im Rahmen einer Residenz am Tanzhaus NRW in Düsseldorf zusammen. In „Entre-temps au grenier“ (was so viel wie „Zwischen den Zeiten auf dem Speicher“ heißt) treffen Billiet und Otto aufeinander. Ihrer Inszenierung liegt eine Bewegungsabfolge aus dem Bausch-Stück „Two Cigarettes in the Dark“ zugrunde, die sie veränderten.

Auf der Bühne durchwandern Billiet und Otto gleichsam den Speicher der Erinnerungen. Das Verhältnis der Generationen setzen sie ebenso anschaulich wie anrührend um. Zunächst orientiert sich die Jüngere an den Bewegungen der Älteren. Dieser Lernprozess wird nach und nach zu einem auf Augenhöhe. Die wechselseitigen Umarmungen stehen für das wortlose Einverständnis von Mutter und Tochter.

Tanz geht in Schauspiel über, wenn Billiet als Chronistin ihrer Familie auftritt – und gedanklich bis zur „Mutter der Mutter deiner Mutter“ zurückgeht. Zudem werden die „Lebenslinien“ der Familie sichtbar gemacht – so wenn die Tänzerinnen aus einer Ansammlung von Kleidern ein Band knüpfen, das sich schließlich über die gesamte Bühne zieht. Für den doppelten Tanzabend bedankten sich die Zuschauer mit lang anhaltendem Applaus.