Uni-Team erforscht Schnitzlers Werk

Erste Ergebnisse des Projekts zum österreichischen Schriftsteller Arthur Schnitzler sollen jetzt online erscheinen.

Foto: dpa

Wuppertal. Ein Arzt streift in einer erotischen Odyssee durch die Nacht. Seine Frau hatte ihm gestanden, einen anderen Mann begehrt zu haben. Schließlich landet der Arzt auf einer Orgienfeier eines Geheimbundes, auf dem alle Gäste maskiert sind. Arthur Schnitzlers Erzählung „Traumnovelle“ ist einem Millionenpublikum durch Stanley Kubricks Verfilmung mit dem Titel „Eyes Wide Shut“ bekannt geworden.

Doch wie hat der Schriftsteller seine Figuren und die Geschichte entwickelt? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Team um die beiden Literaturwissenschaftler Michael Scheffel und Wolfgang Lukas.

„Wir wollen nachvollziehbar machen, wie Schnitzler aus einer ersten Idee Figuren, Art der Handlung und Konstellationen entwickelt hat“, sagt Professor Wolfgang Lukas. Dazu muss der Nachlass des Österreichers gesichtet und erfasst werden. Schnitzler entwarf häufig mehrere Varianten eines Werks.

Drei Mitarbeiter entziffern Schnitzlers handschriftlich schwer lesbare Aufzeichnungen und versuchen anhand dieser nachzuvollziehen, wie einzelne Sätze entstanden sind. „Wenn ich einen Text von Schnitzler kaufe, ist es nicht gesichert, dass der Text auch vom Autor so gewollt wurde“, erläutert Lukas. Im Überlieferungsprozess seien durch Lektoren oder beim Druck Formulierungen verändert worden.

Ziel der Wuppertaler Forscher ist es, einen authentischen Text zu erhalten. Die sogenannte kritische Ausgabe soll in digitaler Form erscheinen, um den Nachlass, der in zwei verschiedenen Archiven liegt, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und der Bibliothek der Universität Cambridge, virtuell zusammen zu führen. Und das ist gleich die nächste Herausforderung, der sich Scheffel und Lukas stellen: In Zusammenarbeit mit der Universität Trier werden die handschriftlichen und transkribierten Texte Schnitzlers in eine digitale Fassung gebracht. „Dann kann man im Internet wie mit einer Lupe über den Text fahren und sehen, wie ein Satz entstanden ist“, sagt Professor Michael Scheffel.

Der qualitative Mehrwert der Online-Version: Der Leser kann — anders als bei einem Buch, in dem man vor und zurückblättert — unmittelbar einzelne Fassungen vergleichen. Die einzelnen Fäden werden zusammengeführt. In der zweiten Jahreshälfte werden die beiden Werke „Fräulein Else“ und „Professor Bernhardi“ in einer Beta-Version online gehen. „Wir sind ein bisschen in Zeitverzug“, sagt Scheffel. Das liege aber auch an der doppelten Aufgabe: Die Wissenschaftler müssen ein logisches Modell der Textentstehung entwickeln und dann überlegen, wie sie dieses Modell präsentieren. Die technische Umsetzung stellt die Wissenschaftler dabei vor ganz neue Schwierigkeiten: „Bei der Zusammenarbeit mit den Informatikern in Trier mussten wir erst eine gemeinsame Sprache finden und verstehen, wie die anderen denken“, sagt Lukas.

Das Forschungsprojekt ist bis 2030 angelegt. Jedes Jahr stehen den Wuppertaler Forschern 300 000 Euro zur Verfügung. Nach und nach sollen weitere Werke des Schriftstellers in einer digitalen historisch-kritischen Edition erscheinen. Für Scheffel und Lukas war es naheliegend, sich mit Schnitzler zu beschäftigen, ihr Forschungsschwerpunkt war Schnitzler. Aber auch sonst gibt es für Scheffel einen guten Grund: „Er ist einer der großen Autoren deutscher Sprache.“ Auch wenn viele sein Werk nur aus dem Kino kennen.