Mit der Nordbahn- und der Schwarzbachtrasse ist die Wuppertalbewegung bekannt geworden. Wie schwierig ist jetzt der Themenumschwung? Oder etwas provokant gefragt: Kann der Verein etwas anderes als Verkehr?
Stadtentwicklung Recycling: Verein sucht neue Wege für die Stadt Wuppertal
Wuppertal · Interview Die Wuppertalbewegung plant Ideenschmiede für den Stoffkreislauf. Das Thema klingt erstmal abstrakt — betrifft aber viele Menschen.
Die Nordbahntrasse ist ein Erfolgsmodell, hat Wuppertal bundesweit bekannt gemacht. Der Vorsitzende Carsten Gerhardt und die Wuppertalbewegung, die den Anstoß zu diesem Projekt gaben, sind dafür vielfach ausgezeichnet worden — und haben nachgelegt: Seit Ende vergangenen Jahres können Fußgänger und Radfahrer nun auch die Schwarzbachtrasse nutzen. Doch der Verein denkt weiter. „Circular Valley“ ist der Arbeitstitel des neuesten Projektes. Das Ziel: Wuppertal soll zu einem „Hotspot“ für Zukunftstechnologien werden. Die WZ sprach mit Carsten Gerhardt über die kommenden Aufgaben und Herausforderungen.
Carsten Gerhardt: Als wir vor 15 Jahren gestartet sind, hätte da jemand geglaubt, dass wir die Trassen hinbekommen? Also das komplette Programm mit Planung, Antragsstellung und Bau? Die Schwarzbachtrasse wurde sogar ungeachtet der überhitzten Baukonjunktur „in time“ und unter Budget fertig. Und vorher hat von uns auch niemand einen Radweg gebaut. Ich denke, die Wuppertalbewegung hat den Beweis angetreten, dass sie große Strahlkraft ausübt, um gemeinsam mit Bürgern aller Altersklassen, Fachleuten, Unternehmern, Politik und Verwaltung Dinge in der Stadt voranzubringen.
Warum wollte man weg von Trasse & Co.?
Gerhardt: Die aus unserer Sicht von den Panoramen her schönsten Trassen einschließlich der wunderbar gepflegten öffentlichen Parkanlage Belvedere sind fertig, weshalb wir uns etwas anderes suchen wollten. Vielleicht planen wir in ferner Zukunft noch mal den Brückenschlag nach Schwelm für die Trassen, aber zunächst ist das Ziel etwas anderes, was nichts mit Verkehr zu tun hat.
Was steht denn hinter „Circular Valley“?
Gerhardt: Es soll ein Ort werden, an dem Lösungen für das Megathema „Circular Economy“ entwickelt und zur Anwendung gebracht werden sollen. Es geht hierbei um eine Wirtschaft, die versucht, Abfälle zu reduzieren und Stoffe in einem Kreislauf zu nutzen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir wollen Wuppertal nicht zum Recyclinghof Europas machen, sondern zur Ideenschmiede und zum Ort, wo zusammen mit der bergischen Industrie/ der Werkzeugindustrie Prototypen und exportierbare Technologien entwickelt werden.
Wie kann das gelingen?
Gerhardt: Ziel ist eine hochwertige Wiederverwendung von Stoffen. Was das „Silicon Valley“ für die Halbleiter und Folgetechnologien war und ist, kann Wuppertal als „Circular Valley“ für „Circular“-Technologien und -Themen werden.
Das klingt erst einmal etwas abstrakt. Wie könnte das denn konkret aussehen?
Gerhardt: Bei Details muss ich mich noch etwas zurückhalten. Wir wollen nicht vorgreifen, aber es laufen bereits erste Gespräche mit potenziellen Partnern. Auch einen möglichen Ort haben wir im Auge. An diesem Ort sollen junge Firmen mit Ideen und etablierte Firmen mit Interesse an Innovation aus dem Bereich der ,Circular Economy’ zusammenkommen. Sie sollen gemeinsam Geschäftsmodelle entwickeln, die gleichzeitig den Menschen, der Umwelt und der Wirtschaft nützen. Es geht darum, aus Erfindungen Produkte zu machen. In diese Entwicklungen wollen wir, wie immer, möglichst viele einbeziehen.
Warum bietet sich Wuppertal aus Ihrer Sicht dafür an?
Gerhardt: An dieser Stelle zitiere ich den ehemaligen Leiter des Historischen Zentrums, Eberhard Illner: „Wuppertal war eine der Quellen der Industrialisierung, wo immer schon auch eine soziale Komponente mitgedacht wurde.“ Als das „Manchester an der Wupper“ war unsere Stadt im 18. Jahrhundert Geburtsstätte der ersten Industriellen Revolution auf dem europäischen Kontinent. Die Schließung der Stoffkreisläufe wird als absolutes Zukunftsthema gesehen, als die fünfte Industrielle Revolution nach Mechanisierung, Dampfmaschine, Elektrifizierung und Digitalisierung.
Wo sehen Sie hier Standortvorteile?
Gerhardt: Bergische Firmen sind bei vielen industriellen Spitzenprodukten global aktiv, innovationsstark und -freudig. Wir haben das Wuppertal Institut, das CSCP und die Universität. Im Umkreis von weniger als einer Autostunde um Wuppertal herum gibt es zahllose Firmen mit Bedarf an „Circular-Lösungen“. Nicht nur bei der Entwicklung der Schwebebahn hat Wuppertal gezeigt, wie innovativ es sein kann.
Ihr Trassenprojekt stieß auch in der Bevölkerung auf großes Echo, war für jedermann greifbar: Da wird ein Radweg gebaut, den kann ich nutzen. Glauben Sie, dass so ein Thema wie „Circular Valley’’ ähnlich massentauglich ist?
Gerhardt: Wenn man sich mit Kreislaufthemen befasst, merkt man, dass sie jeden angehen und auch berühren. Das Thema Recycling ist in aller Munde, man muss ja nur einmal Plastikmüll als Beispiel nehmen. Ganz viele Mitmenschen sind sich der Probleme in diesem Bereich bewusst und wünschen sich Lösungen, ohne auf die Vorteile der Produkte verzichten zu müssen. Ich gehe davon aus, dass wir schnell die notwendige „kritische Masse“ an Unterstützern zusammen bekommen.
Welche Aufgabe sehen Sie dabei für Ihren Verein?
Gerhardt: Die Wuppertalbewegung hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie Menschen motivieren kann. Zweifellos werden wir hier neben unseren Mitgliedern ganz neue Gruppen aus Forschung und Entwicklung im In- und Ausland ansprechen und nach Wuppertal holen – das wird eine tolle Bereicherung. Vielleicht kann unser neues Vorhaben nicht jeder unmittelbar nutzen, aber es wird allen nutzen.
Auch wenn die Details noch fehlen: Gibt es denn schon Ideen zum Zeit- und Kostenrahmen?
Gerhardt: Ideen zum Kostenrahmen gibt es, und wir konkretisieren sie gerade weiter. Was den Zeitplan angeht, möchten wir dieses Jahr an den Start gehen. „Circular Economy“ ist ein brandaktuelles Thema in Politik, Wirtschaft und in verschiedenen Facetten auch in der Gesellschaft. Da sollten wir nicht mehr warten. 2020 ist für Wuppertal ein besonderes Jahr: wir sind unter den Top 20 Orten weltweit, die CNN zum Besuch empfiehlt, es ist Engelsjahr – Wuppertal hat international Rückenwind!