Versöhnung zwischen Rotkohl und Klößen
Für Kolumnist Uwe Becker beginnt im November die beste Zeit des Jahres.
Mitte September, wenn die letzte Packung Dominosteine, die ich im Sommer bei Aldi gekauft habe, aufgegessen ist, beginne ich mit dem Verzehr frisch erworbener Lebkuchenherzen. Im Oktober falle ich dann mit Appetit über den von meiner Nachbarin gesponserten Spekulatius her, und sind diese süßen Vorräte verbraucht, müssen Anfang November die nun reifen Marzipan-Kartoffeln dran glauben, die ich letztes Jahr Weihnachten eingefroren hatte, weil mich eine leichte Magenverstimmung quälte.
Begrabt mein
Herz in Wuppertal
Ich liebe Weihnachten! Die Adventszeit ist für mich die schönste Zeit des Jahres. Im Frühling sind mir die meisten Menschen zu fröhlich und aufgedreht. Im Sommer ist es mir persönlich viel zu warm, gerade in der Stadt halte ich es kaum aus. Die Menschen schwitzen, kommen einem häufig zu nah und unterschätzen oft die Wichtigkeit der Körperhygiene. Der Herbst gefällt mir da schon besser, obwohl das auch wieder die Zeit ist, wo mein Steuerberater mich an die Abgabetermine für die Einkommensteuererklärung erinnert.
Aber ab November beginnt für mich diese heimelige Zeit. Es wird kalt, man trägt Schals und Pullover, gefütterte Jacken und warme Wollmützen. Ab Dezember treffen sich viele Menschen zum Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt oder in festlich dekorierten Eckkneipen. Mit Freunden genießt man die wohlige Wärme, wenn draußen die ersten Schneeflocken fallen.
Ich streite mich in den besinnlichen Tagen vor dem Fest grundsätzlich nicht mehr mit Kollegen und Freunden. Meinungsverschiedenheiten, die im Sommer fast zum Bruch jahrelanger, intensiver Freundschaften oder enger Beziehungen geführt haben, werden in der Weihnachtszeit bei einem leckeren Gänseschmaus mit Rotkohl und Klößen zu den Akten gelegt. Man umarmt, vergibt und versöhnt sich mit herzlicher Wärme.
Ich denke, es gibt auch Bürger, die im Jahresverlauf die Flüchtlinge sehr kritisch sehen aber zum Heiligen Abend bereit wären, einer syrischen Flüchtlingsfamilie kurz Einlass in ihr Wohnzimmer zu gestatten, um ihnen den festlich und liebevoll geschmückten Weihnachtsbaum zu zeigen. Ich persönlich habe am Weihnachtstag vor zwei Jahren einem mir nicht sonderlich sympathischem Menschen ein „Frohes Fest“ gewünscht. Das kann man auch mal machen, ohne dass einem direkt ein Zacken aus der Krone bricht.
Die meisten Menschen sind an den Tagen vorm Fest sehr gestresst, weil sie den Druck spüren, nur das Beste für die Liebsten zu kaufen. Da darf man keine Fehler machen, sonst ist die Enttäuschung oft groß. Die Kommerzialisierung war mir schon als Kind ein Dorn im Auge. Geschenke meiner Eltern habe ich nur angenommen, um ihnen eine Freude zu machen.
Meine Mutter war früher sehr bescheiden, wenn ich sie fragte: „Was wünscht Du dir denn zu Weihnachten, Mama?“ antwortete sie immer: „Du bist mir Geschenk genug, mein Sohn.“ Das war für mich als Kind wunderschön. Ich malte ihr dann ein farbenprächtiges Bild, über das sie sich immer sehr gefreut hat. Als ich so um die 30 Jahre alt war, meinte meine Mutter, ich sollte jetzt aber mal aufhören, ihr selbstgemalte Bilder zu schenken, ein Fläschchen Tosca oder Pralinen wären auch nicht schlecht, und Geld würde ich ja inzwischen verdienen. Dass meine Mutter im Alter dann so konsumorientiert gedacht hat, war für mich etwas enttäuschend.