Vom Versuch, gut zu sein
Theater am Engelsgarten zeigt Premiere von „Zur Mittagsstunde“.
Dass ein Mensch nach einem Amoklauf unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden kann, ist mittlerweile bekannt. Inwieweit das Ereignis, das John Smith (der Name ist offenbar programmatisch gemeint) zu verarbeiten hat, zu PTBS-Symptomen führt, bleibt unklar. In Neil LaButes Drama „Zur Mittagsstunde“, das am Samstag im Theater am Engelsgarten Premiere hatte, überlebt die Hauptfigur (Thomas Braus) einen Amoklauf im Büro, dem alle Kolleginnen und Kollegen zum Opfer fallen.
Der Grund für sein Überleben: Gott hat ihn ausgewählt, ihm zugerufen: „Bleib und du wirst gerettet werden“. In der Folge sieht sich Smith als „Auserwählten“, Bekehrten, der die Welt besser machen will. Die Frage ist nur: Will die Welt das auch? Smiths Umfeld reagiert jedenfalls erstaunt, skeptisch und erbost angesichts so viel neugewonnener Spiritualität und Bekehrungswillen.
So ist Smith für seine Ex-Ehefrau Ginger (Philippine Pachl) nach dem Amoklauf ein „Mister Weichgespült“, dessen Geschichte von der Auserwähltheit zudem „nicht sehr glaubwürdig“ ausfällt. Bei seiner Geliebten (ebenfalls Pachl) findet er nicht mehr Anerkennung: Zwar ist sie von dem Ereignis „überwältigt“, zu Smith und seinem Weltverbesserungsprogramm will sie sich aber nicht bekennen. Sie fürchtet die Ächtung durch Familie und Bekannte, ist sie doch die Cousine der Ex-Frau - und begann das Verhältnis bereits, während der Ehe der beiden.
Auch von offizieller Seite gibt es wenig Unterstützung. Der Anwalt ist nur auf das Geld aus, das mit einem von Smith am Tatort geschossenen Handy-Foto gemacht werden kann. Für den Polizei-Inspektor (beide Stefan Walz) ist der einzige Überlebende ein Verdächtiger. Denn der Amokläufer war ein ehemaliger Mitarbeiter, den Smith entlassen hat, weil er seine Arbeit nicht erfüllen konnte. Warum sollte Smith da überleben, wenn es nicht eine geheime Komplizenschaft zwischen ihnen gab, denkt der Inspektor.
Das Stück in der Inszenierung von Schirin Khodadadian fragt, ob es einer Person — bei aufrichtigem Bemühen — gelingen kann, ein besserer Mensch zu werden. Durchdekliniert wird diese existenzielle Frage in einem reduzierten Bühnenbild (Carolin Mittler), das mit Elementen wie Licht (Glitzervorhänge), Wasser (Kanal vor der Bühne) und Erde (Laufsteg) arbeitet.
Es gibt zahlreiche christliche Anspielungen wie Taufe, Offenbarung oder eine Himmelfahrt, die Smith zum Abschluss vollführt. Der US-amerikanische Dramatiker LaBute schrieb das Stück, weil er nach eigenen Angaben mit dem Glauben „kämpft“.
All diese Aspekte bringen Intendant Braus und seine beiden Mitspieler überzeugend auf die Bühne, die Dialoge sind pointiert, auch die Einbeziehung der Zuschauer ins Stück wirkt passend. Unklar bis zum Schluss bleibt lediglich, ob Smiths Bekehrung wirklich etwas leistet zur Verbesserung der Welt.
“ Weitere Aufführungen: 12., 13., 17., 18. Mai, 3., 22., 23. Juni und 5. Juli