Was glauben Sie denn? Asyl in der Kirche

Wuppertal · Ilka Federschmidt, Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Wuppertal, über einen aktuellen Fall.

Ilka Federschmidt - Freisteller

Foto: Kirchenkreis Wuppertal

Wenn man bei einem menschlichen Schicksal wirklich hinsieht, ist manches nicht mehr so einfach. Da passen dann keine Schablonen mehr. Vorurteile auch nicht. Nächstenliebe geht nicht, ohne wirklich hinzusehen. Ohne wirklich sehen zu wollen: Ein Mensch braucht unsere Hilfe. Jetzt. Wir sind gerade für diesen Menschen die „Nächsten“, wie Jesus es in seinem berühmten Gleichnis vom barmherzigen Samariter sagt. Wir sind diejenigen, deren Hilfe er jetzt braucht.

Genau darum gewähren christliche Gemeinden „Asyl“. Sie gewähren geflüchteten Menschen einen Schutzraum, denen bei einer Abschiebung nicht hinnehmbare Gefahren an Leib und Seele drohen. Asyl in der Kirche ist eine Art „heiliges Gastrecht“, keinerlei juristische Größe, nein, eine Art menschliches Schutzschild. Damit eben das geschehen kann: Dass man genau hinsieht. Denn das braucht Zeit und innere Bereitschaft, die in der staatlichen Asylpraxis oft fehlen. Ein junger Mann aus einem afrikanischen Staat soll abgeschoben werden. Eingereist ist er über Italien. Seinen Asylantrag müsste er nach der sogenannten Dublin-III-Regelung dort stellen. Also soll er dorthin „rücküberstellt“ werden, so befindet das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF). Gemäß unserer Gesetzgebung: In Ordnung. Aber: Er ist physisch und psychisch am Ende. Erlittene Gewalt und Verfolgung in der Heimat. Folter in einem libyschen Flüchtlingscamp. Andere ertrinken neben ihm auf dem Weg über das Mittelmeer.

In Italien: Misshandlung in einer überfüllten Flüchtlingsunterkunft. Sich Durchschlagen auf der Straße, wohnungslos. Medizinisch unterversorgt, körperlich in schlechtem Zustand, schwere Albdrücke. Hier in Deutschland sind Verwandte, ein Strohhalm. Die drohende Abschiebung verursacht Panik, Gedanken an Suizid. Sie würde das erlittene Maß übervoll machen. Der Kirchenkreis hat dem jungen Mann „Kirchenasyl“ gewährt, begleitet von der Fachberatung der Diakonie und von ehrenamtlichen Helfern.

Wir beanspruchen damit keinen rechtsfreien Raum. Die Gewährung von Kirchenasyl zielt darauf, die Behörden zu bewegen, noch einmal genau hinzusehen. Das Kirchenasyl mit dem Aufenthalt des Asylsuchenden wurde unserer Ausländerbehörde und dem BAMF mitgeteilt. Gemäß einer Vereinbarung mit den Kirchen haben wir ein ausführliches „Härtefalldossier“ eingereicht. Allein: Wirklich wahrgenommen wurde es im BAMF nicht. Sehr formalistisch und mit unverständlichen Verharmlosungen der Gewalterfahrungen wurde es zurückgewiesen, ein angekündigtes medizinisches Gutachten gar nicht erst abgewartet. Darum behielten wir das Kirchenasyl bei. In der Hoffnung, dass es einen letzten Respekt vor diesem „heiligen Gastrecht“ gibt, so dass man es nicht mit polizeilicher Gewalt beendet. Das Asyl in der Kirche gibt Raum, um das medizinische Gutachten durchzuführen und zu erreichen, dass Entscheidungen neu überprüft und hoffentlich auch revidiert werden.

Leider gewinnen wir gerade bei den „Dublin-III-Fällen“ den Eindruck, dass es immer weniger darum geht, die Gründe für einen Asylantrag wirklich zu prüfen als darum, möglichst eine Abschiebung zu erreichen. Es wirkt ganz so, als vermeide man gezielt, genauer hinzuziehen. Damit es einfacher ist?

Der junge Mann ist immer noch im Kirchenasyl des evangelischen Kirchenkreises. Wir haben begründete Hoffnung, dass ein anerkanntes medizinisches Gutachten und eine neue rechtliche Prüfung dazu führen, dass er ein Asylverfahren hier in Deutschland erhält.

Kirchengemeinden gewähren Kirchenasyl als ein letztes legitimes Mittel. Sie treffen eine Gewissensentscheidung aus ihrem Glauben heraus im Sinne der biblischen Gebote und des Weges Jesu Christi. Sie wollen helfen, die Menschenwürde und das Menschenrecht Geflüchteter zu schützen. Sie treten damit zeichenhaft für eine wahrhaftigere, gerechtere Asylpolitik ein.