Stellenabbau bei Bayer Was die Bayer-Hiobsbotschaft für Wuppertal bedeutet
Wuppertal · Für das Werk in Elberfeld ist das Aus des neuen Wirkstoffs von Bayer ein Rückschlag. Einen Teil der Zeche könnte die Stadt Wuppertal zahlen.
Bayer schweigt. Am Tag nach der Hiobsbotschaft aus der Konzernzentrale sagt niemand etwas, spricht keiner von Angst und Sorgen. Es sind ja auch nur 350, vielleicht ein paar mehr Stellen von insgesamt 12 000, die am Standort Wuppertal abgebaut werden sollen. Und „der Bayer“, wie Mitarbeiter ihren Arbeitgeber zu nennen pflegen, gilt als fair. Außerdem hatte ein Sprecher gegenüber dieser Zeitung bereits darauf hingewiesen, dass der Stellenabbau über die nächsten Jahre sozialverträglich ablaufen solle.
In Wuppertal kannte der Trend von Bayer nur Aufschwung
Dennoch ist die Entscheidung von Donnerstag ein herber Rückschlag für den Bayer-Standort Wuppertal, den ältesten im gesamten Konzern. Jahrelang kannte die Entwicklung dort nur eine Richtung: aufwärts. In der Ära des langjährigen Werkleiters Klaus Jelich (65) löste eine Erfolgsmeldung die andere ab. Jelich ist gerade erst in den Ruhestand getreten.
Mehr, mehr, mehr. Mehr Mitarbeiter, mehr neue Produkte, mehr Investitionen. In den vergangenen fünf Jahren hat der Konzern in seine Produktion in Wuppertal-Elberfeld und in das Forschungszentrum Wuppertal-Aprath annähernd zwei Milliarden Euro investiert. Das macht niemand, der an Schrumpfen und Rückzug denkt.
Deshalb schlug die Nachricht ein wie eine Bombe, dass der Wirkstoff Faktor VIII entgegen aller bisherigen Planungen nicht in Elberfeld hergestellt wird. Der Wirkstoff ist die Basis für Medikamente gegen die Bluterkrankheit. Wuppertal war stolz und glücklich, sich im Wettbewerb um die Produktion von Faktor VIII gegen den Standort im US-amerikanischen Berkeley durchgesetzt zu haben. Das war vor etwa fünf Jahren. „Dieser erreichte Meilenstein ist ein Ergebnis des großen Engagements aller Beteiligten“, sagte der damalige Werkleiter Jelich. Wuppertal genoss und genießt einen guten Ruf im Konzern. Die Wirkstoffe von acht der 17 umsatzstärksten Bayer-Pharma-Produkte werden an der Wupper hergestellt. Die Forscher von Bayer Health-Care tragen ihren Teil dazu bei, dass das Bergische Land zu den innovativsten Regionen Deutschlands gehört.
Vor diesem Hintergrund und mit dieser Gegenwart schien es kein Risiko zu sein, in das Elberfelder Werk fast eine halbe Milliarde Euro zu investieren, um dort den neuen, umsatzträchtigen Wirkstoff herzustellen. Das Gebäude ist fertig, Hochtechnologie mit Kältekammern für die Lagerung von Faktor VIII, Labore auf allerhöchstem Niveau. Allein das Gebäude bleibt leer, es wird nicht genutzt. Die Konzernzentrale hat es sich anders überlegt. Die Umsatzaussichten für Medikamente mit dem Wirkstoff Faktor VIII sind in der Zwischenzeit stark eingetrübt. Außerdem ist das Übernahmegeschäft mit dem US-amerikanischen Glyphosat-Hersteller Monsanto immer noch schwer verdaulich. Die Bayer-Aktie dümpelt in kaum mittelmäßigen Regionen, der einstmals stolzen Bayer AG, einem deutschen Vorzeigekonzern, weht der Wind mit zunehmender Schärfe ins Gesicht.
Also zieht der Vorstand die Notbremse, ohne Rücksicht auf Verluste. Er nimmt im Gegenteil erhebliche Fehlinvestitionen in Kauf und nennt das Ganze Umstrukturierungen auf dem Weg neuen Ufern.
Die Zeche dafür dürfte in einem erheblichen Maße die Stadt Wuppertal bezahlen. Sie ist seit jeher nicht auf Rosen gebettet. In vielen unbeliebten Statistiken belegt die Metropole des Bergischen Landes trotz ihrer architektonischen und geografischen Reize, trotz der auch daraus resultierenden guten Lebensqualität schon traditionell hintere Plätze. Immer ein paar mehr Arbeitslose als im Bundesdurchschnitt, immer ein paar mehr überschuldete Haushalte, und dass beinahe jeder vierte Einwohner Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II bezieht, ist auch kein Indiz für blühende Landschaften. „Das ist schon der größte anzunehmende Unfall“, sagt eine Führungskraft im Wuppertaler Rathaus. Bayer ist so eine Art Seismograf für das Allgemeinbefinden Wuppertals.
Die beiden Standorte sind der größte private Arbeitgeber in der Stadt. Wenn der Stellen abbaut, macht sich das bemerkbar. Weniger Kaufkraft, mehr Arbeitslosigkeit, weniger Einkommensteuer und weniger Gewerbesteuereinnahmen. Der Konzern hat angekündigt, für das gescheiterte Faktor-VIII-Abenteuer 600 Millionen Euro abzuschreiben. Das mindert den Gewinn, und weniger Gewinn bedeutet weniger Gewerbesteuer – vermutlich auch in Wuppertal.