Erfurt: Wenn sich die Venus auf der Digitaldruck-Tapete räkelt
Das Traditionsunternehmen hat die Produktpalette deutlich ausgeweitet. Technische Anwendungen werden häufiger.
Wuppertal. Zeiten, in denen es in der Papierfabrik Erfurt mit strategisch guter Lage unmittelbar an der Wupper um die Produktion von Dachpappe, Notgeld sowie Deko-und Verdunklungspapier ging, sind längst vorbei. Denn das in siebter Familiengeneration befindliche Traditionsunternehmen, das die Rauhfaser bereits 1864 erfunden und seit den 1960er-Jahren verstärkt in den Markt gebracht hat, ist weltweiter Marktführer für überstreichbare Wandbeläge.
Ein wichtiger Baustein für diese Marktführerschaft ist die 100-prozentige Distribution in Deutschland. Es gibt einfach keinen Baumarkt, in dem es Rauhfaser nicht zu kaufen gibt. Wie Martin Erfurt, der zusammen mit Henrik Erfurt das Unternehmen als persönlich haftender Gesellschafter führt, erklärt, macht der Do-it-yourself-Bereich rund 50 Prozent des Umsatzes aus. Die andere Hälfte läuft über den Großhandel und natürlich die Maler und Anstreicher als Partner. Und Erfurt ist heute in mehr als 30 Ländern zu kaufen.
Mit dem Trend, glatte Putzflächen im Heim als chic zu empfinden, machte sich Erfurt zudem auf, zusätzliche Produkte auf den Markt zu bringen. Ein Unterfangen, das auch aufgrund des sogenannten widerspruchsorientierten Innovationssystems Früchte zeigt. Ein Ergebnis: Die Vlies-Rauhfaser gibt es in unterschiedlichen Variationen und in einer ist sie sogar schon mit weißer Farbe versehen. Die Vorteile sind die bekannten: Ein Tapeziertisch ist nicht mehr notwendig, es gibt keine Dehnung, der Kleister geht direkt auf die Wand, und Vlies ist trocken abziehbar. Marktführer ist Erfurt mittlerweile zudem mit dem glatten Vlies als technischen Wandbelag.
Erfurt entwickelte ferner Wandbeläge mit überwiegend physikalisch-funktionellen Eigenschaften. Klima-Tec ist ein Innendämm-Sortiment, das die Anheizzeiten reduziert, Energie spart und Schimmel hemmt. Passend zu diesen Funktionen gibt es außerdem eine Klimaplatte. Und natürlich wollen diese Dinge auch mit einem zusätzlichen Wandbelag wie zum Beispiel der Raufaser belegt werden. Da ergibt sich die Chance, einen Quadratmeter zwei Mal zu verkaufen. Wer sich vor Elektrosmog schützen möchte, der kann im Erfurt-Programm zudem auf das Carbon-Vlies zurückgreifen.
Ein weiteres großes Thema ist der Digitaldruck. Dabei geht es um individualisierte beziehungsweise aus einer Datenbank abzurufende Motive für den Wandbelag. Drei Digitaldruckmaschinen hat Erfurt derzeit in Betrieb. Stark gefragt sind auch sogenannte Wand-Tattoos.
Die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zeigt sich ferner an der Tatsache, dass es jetzt auch Produkte für den Außenbereich gibt. Das sind Wandbelag und Armierungskleber für ein neues Fassadensystem. Das ist aber auch ein in Partnerschaft mit Novotech aus Sachsen entstandenes Terrassenprogramm auf Holzfaser-Basis. Die Besonderheit: Es werden keine Tropenhölzer verwendet, der Transport über tausende Kilometer entfällt, und, so Martin Erfurt: „Keine Splitter, kein Ölen, kein Schleifen.“ Convenience ist eines der Schlagwörter, auf die Erfurt verstärkt setzt. Und anders als mit dem für Erfurt nicht streng genug geregeltem Begriff WPC soll das Terrassenprogramm mit dem Namen German Compact Composite versehen werden.
Noch eine Besonderheit des Traditionsunternehmens mit den beiden persönlich haftenden Gesellschaftern: Sie können mit 63 aus dem Unternehmen ausscheiden, sie müssen es aber mit spätestens 68.