„Wo es Leerstände gibt, muss alles erlaubt sein“
Beim „Stadtgespräch“ mit WZ und WDR diskutierten Bürger und Experten.
Die einen warnen vor einer Krise, die anderen wollen nur einen Wandel erkennen. Die Innenstädte im Bergischen und im ganzen nordrhein-westfälischen Land haben immense Probleme: Leerstände, gesichtslose Lädenketten, immer weniger Einzelhandel und immer mehr Kunden, die in die Großstädte oder gleich ins Internet abwandern. Beim Stadtgespräch auf Einladung von WDR und Westdeutscher Zeitung stellten sich am Donnerstagabend vier Experten — der Geschäftsführer Handelsverband NRW, Region Rheinland, Ralf Engel, der Staatssekretär im NRW-Ministerium für Heimat und Kommunales, Jan Heinisch, der Geschäftsführer des verdi-Bezirks Köln, Daniel Kolle, und WZ-Redaktionsleiter Wuppertal, Lothar Leuschen — den Fragen der Bürger im Barmer Rathaus. Eine Stunde lang wurden Probleme definiert und Lösungen gesucht.
Der Blick in die Barmer Fußgängerzone ist an diesem Abend ein freundlicher, durch Lichterketten erhellter. Dafür hat die ISG Barmen-Werth gesorgt, die hin und wieder Leerstände durch dekorierte Schaufenster verbirgt, wie Lothar Leuschen erklärt. Doch schon in den Seitenstraßen sieht es düsterer aus. „In der Stadt finde ich oft nicht, was ich suche, also gehe ich nach Hause und kaufe online“, legt eine Besucherin den Finger in die Wunde.
Wie aber die Innenstädte lebens- und aufenthaltswerter machen? Der Handel selbst müsse an seiner Attraktivität und an seinem Service arbeiten. Eine Meinung, die an diesem Abend immer wieder deutlich wird. Originelle Läden, Einkaufsverbünde — wie etwa die viel diskutierte „Online-City Wuppertal“, bei der die heimischen Händler ihre Produkte im Netz verkaufen — seien ein richtiger, wenn auch schwieriger Schritt, der eines langen Atems bedürfe. Einzelne Projekte wie der Cap-Markt in Eckbusch seien zu begrüßen, benötigten aber der konzeptionellen Einbettung, an der es oft mangele. Leuschen ordnet ein: „Das ist leider die Ausnahme von der Regel. Wir brauchen privates Engagement und finanziellen Spielraum, den die meisten Städte nicht haben.“ Weshalb Daniel Kolle die Stärkung der Investitionskraft der Städte einfordert. Allerdings müssten diese“willens sein, etwas zu tun“.
Womit die Diskussion bei der Politik landet. Die wird im Barmer Rathaus immer wieder kritisiert. Forderung: Die Städte müssten nicht nur Geld in die Hand nehmen. Auf allen (kommunaler, Landes und Bundes-)Ebenen müsste vernünftig und langfristig geplant werden. Gesetze müssten so angewendet werden, dass Start ups eine echte Chance bekämen, damit ihr finanzielles Risiko nicht an Fristen oder Genehmigungen scheitere. Dabei, so betont Engel, dürfe es keine Tabus geben: „Wo es Leerstände gibt, muss alles erlaubt sein.“ Und Jan Heinisch erinnert an die „Entfesselungsbemühungen“ der neuen Landesregierung, die auch der Förderung von Gründern zugute kommen sollen. Von anderer Seite betrachtet eine Wuppertalerin das Thema. Sie macht sich für eine „Kultur des Scheiterns“ stark, die Existenzgründern eine zweite Chance gebe.
Am radikalsten äußert sich Arrenberg-Aktivist und Unternehmer Jörg Heynkes, der von den Politikern den Mut einfordert, sich endlich der Digitalisierung der Gesellschaft zu stellen. Außerdem wirbt er für ein Umdenken, das den Rückbau in den Innenstädten ermögliche, um zum Beispiel „Stadtfarmen in Kaufhäusern“ einzurichten, die die Bürger selbst gestalteten: „Wir müssen die Bürger in den Städten einbeziehen und nicht alles an Investoren geben.“
Eine Absage erteilt die Mehrheit den in Wuppertal und Remscheid geplanten Outletcentern, die nur die Einkaufsschwerpunkte verschieben und für neue Leerstände sorgen würden. Engel: „Outletcenter müssen Ergebnis eines nachhaltigen Entwicklungskonzeptes sein und im gesetzlichen Rahmen bleiben.“ Beides fehle in Wuppertal.