Begrabt mein Herz in Wuppertal Wuppertal: Uwe Becker hat mit Gummistiefeln im Bett geschlafen
Wuppertal · Der WZ-Kolumnist behielt die Wupper besorgt im Blick.
Als ich vor wenigen Jahren von der lauten, aggressiven und vierspurigen Friedrich Engels-Allee auf die beschauliche andere Seite der Wupper direkt ans Flussufer zog, waren es nur wenige Schritte für meine Möbel und Kisten, aber ein großer für mich. In meiner neuen Hochparterrewohnung war nichts mehr vom Autolärm der naheliegenden Bundesstraße zu vernehmen. Vom Fenster aus blickte ich direkt auf den geliebten Fluss. Mit Schaudern dachte ich an meine alte Wohnung zurück, in der es am Tage, wenn Autos gnadenlos von Barmen nach Elberfeld und wieder zurück knatterten, so laut war, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte oder gar seine Gedanken.
Jetzt war alles friedlich und still: Mitten auf der Wupper residiert ein Graureiher, der auf einem Stein hockt und mit seinem langen Schnabel Rollmöpse aus dem Wasser fischt. Zwischen beiden Wohnungen liegen wirklich Welten: Dort, zum Greifen nah, die Allee mit ihrem permanenten Kraftverkehr, mit all seinem aufdringlichen Getöse und Gehabe, und hier die fast unberührte Natur, die sich anscheinend prächtig erholt hat. Als ich zum ersten Mal bei geöffnetem Fenster am Schreibtisch saß, sprang ich plötzlich hoch und rannte in die Küche, weil ich ein Geräusch von fließendem Wasser vernahm.
Da war aber nichts, kein Spülbecken lief über oder gar die Waschmaschine aus. Ich ging verwirrt zurück ins Büro und mir wurde schnell klar, was ich hörte und mich in Panik versetzt hatte, war nur das beschauliche Rauschen und Plätschern der Wupper.
Am letzten Mittwoch aber, als der Starkregen wütete, saß ich bis 5 Uhr in der Früh am Fenster, das Geräusch des Flusses war um einiges heftiger als üblich. Die lieblich duftende Wupper war zu einem stinkenden, reißenden Strom mutiert, fast so angsteinflößend und schreckensbeladen wie die nahe gelegene Friedrich Engels-Allee mit ihren nicht enden wollenden Blechlawinen.
Ich wartete geduldig auf die zusätzlich angekündigte Flutwelle. Mein Notkoffer war gepackt mit dem, was man so gerade mitnehmen kann, wenn man unter Lebensgefahr die Wohnung räumen muss: Zahnbürste, Smartphone, Laptop, Ladekabel, Wohnungsschlüssel, Tabletten, Pillenschneider, Ausweispapiere und Geldbörse. Der ganze Rest, Töpfe, Pfannen und Langspielplatten hätten ein Raub der Flut werden können. Aber das Flussbett war ja schon randvoll, wo sollte dieses noch zu erwartende Wasser denn hin?
Irgendwann schlief ich mit Gummistiefeln an auf dem Bett ein. Im Traum war ich Sänger der Pheleiros, einem Trio, das in den 50er- bis 70er-Jahren für grauenhafte Unterhaltungsmusik der Nachkriegszeit verantwortlich zeichnete. In einer Samstagabend-Show sang ich vor glänzend aufgelegten, schunkelnden Zuschauern, den Sommerhit „Wasser ist zum Waschen da, falleri und fallera. Auch zum Zähneputzen kann man es benutzen. Wasser braucht das liebe Vieh, fallera und falleri.“
Als ich wieder erwachte, war die Wupper immer noch laut, stinkend und auf Krawall gebürstet, aber der Pegelstand hatte sich nicht mehr gefährlich verändert. Und als ich mich im Spiegelbild des geöffneten Fensters betrachtete, mit den Gummistiefeln, übermüdet, ungekämmt, aber glücklich lächelnd, da stellte ich mir kurz vor, ich sei Armin Laschet, der allein durch die Kraft seiner fröhlichen Gedanken die totale Katastrophe in Wuppertal verhinderte und von heute auf morgen einen sofortigen und radikalen Politikwechsel vollzog, der die ganze Bevölkerung überraschte. Und auch der Graureiher auf seinem Störstein war baff.