Literatur Kinder als Hoffnungsträger auf dem Rott

Wuppertal · Hans Werner Otto stellt sein neues Werk vor, in dem er immer wieder klare Bilder zeichnet und viel über die Erlebnisse zwischen 1914 und den 70er Jahren erklärt.

Hans Werner Otto las aus seinem neuen Buch.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Arthur ist gerade zehn Jahre alt, als er 1914 von Bayern nach Barmen in Preußen zieht. Auf den Rott, das Arbeiterviertel auf der Nordhöhe. Für die straßenschlauen Kinder dort ist Arthur besonders wegen seines bayrischen Akzents interessant.

Der Wuppertaler Autor Hans Werner Otto erzählt äußerst anschaulich die Lebensgeschichte des Barmer Kommunisten Arthur Gießwein, der sein Leben lang auf der Suche nach einer politischen Heimat war, die er aber nie wirklich fand. Dessen Lebenslauf erschien ihm so interessant, dass er die Witwe Hetty Gießwein gern näher dazu befragen wollte. Als diese starb, wandte sich der 1954 in Wuppertal geborene Autor an den Sohn Rainer Gießwein, der begonnen hatte, alles was er an Dokumenten von seinem Vater Arthur besaß, systematisch auszuwerten. Mit seiner Hilfe schrieb Otto die ersten vier Kapitel.

Dann stellte er das Vorhaben für einige Zeit zurück, mit dem Plan, spätestens bei seinem Eintritt in den Ruhestand darauf zurückkommen. In dem Sommer, in dem er aufhörte zu arbeiten und sich an die nächsten Kapitel machen wollte, starb auch Rainer Gießwein. Doch Hans Werner Otto gab seinen Plan nicht auf. Er verfügte bereits über eine Menge Material und dort, wo sich Lücken auftaten, setzte er Vermutungen und seine Vorstellungskraft ein.

Hans Werner Otto lässt immer wieder klare Bilder entstehen

Daraus entstand eine Biografie, die zugleich ein historischer Roman und eine detaillierte Milieuschilderung ist. Der Autor selbst bezeichnet sein Buch als „biografische Erzählung“ und meint: „Widerspruchs- und lückenlos lässt sich ein Mensch in seinem Lebenslauf nicht erfassen, und das ist gut so.“

Das Titelbild zeigt eine Gruppe von Kindern auf einem Foto aus dem Jahr 1927. Arthur Gießwein markierte darauf seine vier jüngeren Geschwister und nannte das Bild „Rotter Blüte“. Gemeint sind die Kinder als Hoffnungsträger der Menschen auf dem Rott. Dort sind die Arbeiter mehrheitlich kommunistisch. Geschichte und Politik erleben die Menschen hier oft hautnah. Es gibt Kämpfe „Rote gegen Braune“ und Goebbels Rede im Zoostadion wollen Arthur und seine Freunde verhindern.

Aber der Autor schaut auch in die Lebensverhältnisse der Arbeiter hinein: „In der Küche ist der steinerne Ausguss gleichzeitig die Waschgelegenheit, zum Klo geht man aber immerhin nur ins Treppenhaus, eine halbe Treppe, muss nicht, wie die Bewohner einiger Nachbarhäuser, alle schief getretenen, ächzenden Holzstufen bis in den Hinterhof hinuntersteigen und hoffen, dass eines der hölzernen Toilettenhäuschen frei ist. Kohleofen, aber nur ein Zimmer ist heizbar.“

Ob Arthur als Wandervogel und auf der Walz, als Soldat gegen die Franco-Falangisten und auf der Flucht vor den Nazis Tausende Kilometer zu Fuß zurücklegt, ob er im Auftrag des Psychoanalytikers Wilhelm Reich in Barmen Kondome verteilt und deren Gebrauch erklärt oder ob es auf dem Rott verlockend nach Ziesenwurst duftet und in einer Szene Rübenkraut vom Brot tropft, immer lässt Hans Werner Otto beim Lesen des Buches klare Bilder entstehen. Dabei erfährt man viel über historische Ereignisse von 1914 bis in die 1970er Jahre.