Campus Wuppertal Forschung für weniger Müll in der Baubranche

Prof. Annette Hillebrandt befasst sich an der Universität Wuppertal mit recycelbaren Materialien in der Bauindustrie.

Annette Hillebrandt hat für ihre Studenten auch einen Urban Mining Award ins Leben gerufen, bei dem die Teilnehmer für ihre Projekte gebrauchte Bauteile verwenden sollen.

Foto: Fischer, Andreas (f22)

„Sie träumen noch vom Bauen? Machen Sie jetzt Ihre Träume wahr, wir bauen für Sie Ihr Traumhaus!“ Diese Werbesprüche liest man jederzeit, wenn man sich mit zukünftigem Eigentum beschäftigt. Dass Deutschland bereits über ein anthropogenes, also durch den Menschen verursachtes Lager von 50 Milliarden Tonnen Materialien an Gütern sowie an Abfällen verfügt und dieses Lager jedes Jahr pro Person um 10 000 Tonnen wächst, erfährt man nur, wenn man sich, wie Prof. Annette Hillebrandt, intensiv mit der Materie beschäftigt. Die studierte Architektin hat in Wuppertal seit 2013 den Lehrstuhl für Baukonstruktion/Entwurf und Materialkunde inne und wendet sich mit realistischen Bauvisionen gegen die Ressourcenverschwendung im Baubereich.

„Mehr als 50 Prozent aller Abfälle in Deutschland kommen aus dem Bauwesen“, sagt die Wissenschaftlerin. Hillebrandt weiß um die weltweite Ressourcenknappheit und sagt bestimmt: „Wir müssen einfach wegkommen von zu vielen Abfällen im Baubereich!“ Obschon sie seit Jahrzehnten Mitglied bei Greenpeace ist, begann sie an ein ressourcenschonendes Bauen erst so richtig zu denken, als sie bei Forschungsarbeiten im Rahmen ihrer Professuren das ganze Ausmaß der Verschwendung realisierte. „Ziel unserer Forschung ist es, das Abfallaufkommen aus der Bauwirtschaft zu verringern, indem jede Baumaßnahme als eine spätere Ressourcenquelle geplant und entsprechend erstellt werden kann.“

Die Essenerin plant Gebäude so, dass sie leicht wieder zu demontieren sind und die Materialien daraus recycelt werden können. Dazu müssen diese jedoch rein voneinander getrennt werden. „Sortenrein heißt“, sagt sie, „dass sie nicht durch andere Materialien verschmutzt sind. Man kann sich das sehr gut bei Abdichtungen von Beton- oder Mauerwerkskellern vorstellen. Üblicherweise wird der Keller gegen Bodenfeuchtigkeit schwarz abgedichtet. Diese Abdichtungen aus Bitumen sind in der Regel flüssig und ziehen in den Beton ein. Damit ist aber der reine Beton kontaminiert. Und das kriegt man nicht wieder getrennt. Beide Stoffe sind durch diesen Verbund nicht mehr sortenrein zu separieren und zu recyceln. Und damit verlieren wir diese Materialien.“ Doch das muss gar nicht sein, denn Hillebrandt weiß unter anderem, wie man Abdichtungen im Keller- oder Flachdachbereich auch lose verlegen und aus recyclingfähigem Material demontabel verbauen kann.

Die Friday for Future-Bewegung hat gezeigt, dass man Menschen zum Handeln mobilisieren kann, doch die von Hillebrandt geschilderte Dramatik im deutschen Baubereich scheint bei den Bürgern noch gar nicht angekommen zu sein. „Das Problem dringt gerade erst in das Bewusstsein der Politik vor“, erklärt die Forscherin. „Jahrelang hat man sich dort mit der Energiewende beschäftigt, die kennt jetzt jeder. Aber eine Materialwende, das ist bisher noch kein großes Thema gewesen. Es gibt erst seit kurzem eine Broschüre vom Umweltbundesamt zum Urban Mining. Das meint, die Stadt als Mine zu denken und aus den Häusern, Infrastrukturen und Gebrauchsgütern Rohstoffe wieder zurückzuholen. Dieses Kreislaufdenken ist ein relativ neues Thema.“

Das Umdenken der Menschen scheint das schwierigste Problem zu sein. Auftraggeber wollen meist alles neu erstellen. Eine direkte Ressourcenschonung bedeutet für Hillebrandt auch die Wiederverwertung ganzer Bauteile wie Ziegelsteine oder Holzdielenböden. Und da kommt ihr eine aktuelle Modeströmung unterstützend zur Hilfe. Vintage ist das Stichwort, das sich im Bauwesen, so hofft sie, als Dauerströmung festigt. „Alle wollen aktuell im Innenausbau gerne ein Flair von etwas Älterem, was Patina hat, sich echt anfühlt und auch echt ist. Es soll nach Holz oder Linoleum, also Leinöl, riechen. Das finden die Leute heute spannend. Aber es darf keine Mode bleiben, sondern muss Mainstream werden. Diese Strömung muss sich im Sinne von Ressourcenschonung und Abfallvermeidung etablieren.“

Gegen die Nutzung von gebrauchten Materialien sprechen die fehlenden Garantiezusagen, die Hersteller nur für Neuprodukte machen. Dazu sagt die Professorin: „Eine Holzdiele zum Beispiel, hält, ohne dass einer eine Garantie gibt, sowieso 50, 80 bis 150 Jahre. Also kommt es mehr darauf an, dass man über eine generelle Materialkenntnis verfügt. Der Wert liegt in dem Material an sich.“ Außerdem ändern sich die Anforderungen an Bauteile durch Din- oder EU-Normen so schnell, dass Gebrauchtbauteile diese innerhalb weniger Jahre nicht mehr erfüllen, etwa weil sie nicht mehr aktuellen Brandschutzanforderungen oder Energieeinsparverordnungen genügen. Dann könnten sie nur eingebaut werden, wenn der Bauherr das Risiko dafür trägt. „Und da liegt im Moment die Schwierigkeit“, betont Hillebrandt, „es muss sich auch die Gesetzgebung ändern, wenn wir weniger verschwenden wollen.“

Das Thema Materialwende ist sowohl in der Politik als auch im Kollegenkreis noch längst nicht angekommen. „Wir haben im vergangenen Jahr den ‚Atlas Recycling‘ veröffentlicht, in dem wir unsere Forschung anschaulich gemacht haben. Ich toure momentan durch die Republik und halte ein bis zwei Mal im Monat einen Vortrag vor Architekten, Produktherstellern oder Handwerkern, um das Bauen für die Ressourcen- oder Materialwende zu propagieren.“ Hillebrandt verweist auch auf bestehende Gesetze, die nicht zur Anwendung kommen. Zum Beispiel auf das Kreislaufwirtschaftsgesetz, „da steht drin, dass die Bundesregierung neue Produkte verbieten könnte, wenn sie schwer recyclingfähig sind oder wenn sie Schadstoffe enthalten. Aber das Gesetz wird nicht verfolgt, es wird nicht durchgesetzt.“

Ginge es nach ihr, so hätte jeder Bauherr klare Vorgaben. „Jeder, der ein Haus baut, muss dafür sorgen, dass es am Ende zurückgebaut und recycelt werden kann. Dazu muss er Sicherheiten in Höhe des Abfalls, den er verbaut, bei der Gemeinde eingestellt haben, oder nachweisen, dass das Objekt nach dem Rückbau eine Ressource ist, die dann eine weniger hohe Kaution für Rückbau und Entsorgung erfordert. Der Investor muss dazu gebracht werden können, keine Investitionsruinen zu hinterlassen.“