Jubiläumsjahr Künstler geben Engels ein Gesicht
Nordstadt. · Martin Heuwold und Kolja Kunstreich bemalen Fassaden mit Motiven des Philosophen.
Ein meterhoher Engel mit Strick um den Hals und langem, grauen Bart, daneben ein Zitat von Friedrich Engels: „Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muss durch ihren Kopf hindurch: Aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab.“ Dieses Werk der Künstler Martin Heuwold und Kolja Kunstreich soll in Kürze auf die Häuserfassade der „Cotton Factory“ an der Uellendahler Straße 29 in der Nordstadt gemalt werden. „Wir wollen das öffentliche Interesse bei Jung und Alt wecken. Dadurch soll sich der Betrachter erstmals oder erneut mit Engels beschäftigen“, erläutern die Künstler ihr Ziel. Für zwei weitere Kunstwerke sind sie nun auf der Suche nach weiteren Häuserfassaden.
„Engels Weltbild“ heißt das Kunstprojekt, das die beiden Künstler im Rahmen des Engels-Jahres 2020 auf die Beine gestellt haben. Es sei eines von 30 Kulturprojekten, die in einem Beteiligungsprozess ausgewählt und mit Mitteln der Stadtsparkasse Wuppertal und des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert werden, sagt Christoph Grothe, Leiter des Projektbüros „Engels 2020“. „Wir sind froh, das Engelsjahr damit auch im Stadtbild zu verorten.“
Von der Idee bis zum Konzept
war es ein langer Weg
Die Ideenfindung für das Konzept der Fassadenkunstwerke sei ein langer Prozess mit vielen Diskussionen der beiden Künstler untereinander gewesen, sagt Martin Heuwold. „Engels ist als Person widersprüchlich und er hat viele gesellschaftliche Gesichter“, beschreibt er einen Antrieb dieser Gespräche. Zudem hätten sie viel mit Internetnutzern diskutiert. „Unser Ziel ist es auch, junge Menschen anzusprechen“, sagt Kolja Kunstreich. Dazu seien einerseits die Graffiti-Bilder gut geeignet, andererseits der multimediale Zugang zum Thema über Soziale Netzwerke.
Herausgekommen sind drei Kunstwerke, die den Wandel von Engels Weltbild im Laufe seines Lebens widerspiegeln sollen und gleichzeitig unterschiedliche Themenfelder zeigen, mit denen sich der Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Historiker, Journalist, Unternehmer und kommunistische Revolutionär auseinandersetzte. Das erste Kunstwerk mit dem Titel „Zweifel“ zeigt einen Engel mit Pfarrer-Beffchen und Bart. Dazu das Engels-Zitat aus dem Jahr 1844: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ Nach Sichtung vieler Texte von Engels sei deutlich geworden, dass der junge Engels ein Problem mit dem pietistischen Wuppertal gehabt habe, sagt Heuwold. „Er hatte immer ein Problem mit der Kirche, vor allem aber mit der falschen Frömmigkeit vieler Menschen.“ Es folgt unter dem Titel „Widerwärtigkeit“ das Bild eines Engels mit Bart und Krawatte. Dazu ein Engels-Zitat von 1848: „In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn der Arbeit ab.“
Die Zitate sollen auch heute noch zum Nachdenken anregen
Es nimmt Bezug auf Engels als Unternehmer, dessen Moralvorstellungen durch die Industrialisierung geprägt wurden und in Texten mündeten, durch die ihn viele als Revolutionär des Kommunismus sehen. Unter dem Titel „Gestalt“ nimmt das dritte Kunstwerk vor allem auf seine Ideologie Bezug.
Es sind Zitate, die auch heute noch zum Nachdenken anregen sollen, ohne dass die Künstler selbst eine konkrete Kritik der aktuellen Zeit liefern wollen, sagt Martin Heuwold. Die Fassadenkunstwerke eigneten sich besonders gut dazu, immer wieder zum Nachdenken anzuregen, weil man häufiger daran vorbeikomme – auch über das Engel-Jahr hinaus. Und ihre Skurrilität fordere den Betrachter immer wieder heraus, sagt Kolja Kunstreich. Zudem sollen über einen QR-Code weitergehende Informationen abrufbar sein.
Nachdem der Eigentümer der „Cotton Factory“ bereits überzeugt werden konnte, suchen die Künstler nun zwei weitere Häuserwände, an denen sie die beiden anderen Werke verwirklichen können. Die Wände sollten mindestens zehn Meter hoch und gut sichtbar sein, außerdem keine Fenster haben. Kosten entstünden für die Eigentümer nicht. Das Bemalen dauere etwa zwei Wochen – die Beständigkeit reiche weit darüber hinaus: „Die Farben halten mindestens zehn Jahre“, so die Künstler.