Räuber, Staat und Exekutive im frühen 19. Jahrhundert Schodenheinrich, der Ausbrecherkönig

Räuberbanden, heute würden man sie als Sonderformen des organisierten Verbrechens bezeichnen, hatten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hohe Konjunktur.

Räuberbanden, heute würden man sie als Sonderformen des organisierten Verbrechens bezeichnen, hatten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hohe Konjunktur. Das galt insbesondere auch für  Rheinland und Bergisches  Land, und dies hatte mehrere Gründe, etwa die französische Besetzung der Region, die eine neue staatliche Ordnung auf allen Ebenen schuf, während sich die alte erst allmählich auflöste. So entstand eine rechtliche, politische und ökonomische Situation des Umbruchs, der Unsicherheiten und sozialen Verwerfungen. Historische Bruchstellen von Modernisierungsprozessen riefen stets auch Tabu- und Rechtsbrecher auf den Plan, wenn die staatliche und rechtliche Ordnung brüchig und eine Strafverfolgung von Gesetzesverstößen aufgrund von Kleinstaaterei schwierig war.

Damals zählten 314 zum Teil mikroskopisch kleine, aber selbstständige Territorien zum Deutschen Reich, das es realiter gar nicht gab: Ein Eldorado für Grenzgänger und Rechtsbrecher, „Vaganten, Gauner und Halunken“. Diese Zeit prägte zugleich die Erzählungen über vermeintliche Helden des Typus „Robin Hood“ und damit auch zahlreiche Mythen und Legenden vom „edlen Räuber“, die der näheren Betrachtung allerdings selten Stand halten. Einer ihrer bekanntesten trug den eher unspektakulären Namen Johannes Bueckler und war doch viel besser bekannt als der „Schinderhannes“, dessen Schicksal später den Stoff für unzählige  Filme und Romane abgab. Oder ein gewisser Mathias Weber, gefürchtet als „der Fetzer“, der mit seiner „Crefelder und Neusser Bande“ um die Jahrhundertwende auch im Bergischen Land unterwegs war.

Solche „Gangs“ zählten in sozialgeschichtlicher Betrachtung zum hochmobilen Teil der verarmten Unterschichten schon in der frühen Neuzeit. Sie waren  als Vaganten, das heißt als reisende Handwerksgesellen, ambulante Kleinhändler, Bettler, Gaukler oder Deserteure in einer keineswegs nur sesshaften Gesellschaft dann unterwegs, wenn sie ihren Platz in deren Gefüge verloren hatten. Die umherstreifenden Besitzlosen machten je nach Jahreszeit oder Brotpreis zwischen 10 und 20% der Bevölkerung aus. Aus Motiven der Armut entstanden organisierte Räuberbanden, die insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Krisen auftraten. Sie tasteten das private Eigentum, die Grundlage bürgerlicher und bäuerlicher Existenz, an und hielten damit zugleich die Obrigkeit in Atem.

Eine kurze Stippvisite in Elberfeld gab in dieser Zeit ein gewisser Johann Heinrich Vogt, der später als „Schodenheinrich“ eine beträchtliche überregionale Berühmtheit als Verbrecher und noch viel mehr als „Ausbrecherkönig“ erlangen sollte. Vogt war an der Wende zum 19. Jahrhundert Mitglied einer landesweit operierenden und von den Wohlhabenden gefürchteten Gruppe, die es als sogenannte „Wetteraubande“ zu einigem Ruhm gebracht hat.

Geboren wurde er 1778 in einer Gemeinde im Nordhessischen, jener Armutsregion also, die für die Zuwanderung ins Wuppertal von hoher Bedeutung war. Ansonsten ist über seine Herkunft wenig bekannt, außer dass vermutet wird, sein Vater sei einst ein reicher, später aber verarmter Bauer gewesen.

Das Armutsmotiv klingt plausibel als Grund für die Auswanderung des Sohnes ins aufstrebende, textilindustrielle Elberfeld, das seinen enormen Bevölkerungszuwachs insbesondere der Binnenmigration aus dem Waldeckschen und aus Nordhessen verdankte. Dort in Elberfeld begann er mit 15 Jahren zunächst eine Lehre als Schmied, die er aber nach zwei Jahren abbrach, um sein Geld künftig als Tagelöhner und Knecht zu verdienen. Aus dieser kümmerlichen Existenz wollte er schnellstens ausbrechen. Und so entwickelte er sich zum typischen Vertreter der „kleinen Delinquenz“ und der „Widersetzlichkeiten“, indem er zahlreiche Diebstahlsdelikte begann.

Ein erstes Mal in Arrest kam er in Frankfurt, wo er zwischen 1803 und 1805 wiederholt zugeschlagen hatte und schließlich an den Pranger gestellt wurde. Im gleichen Jahr 1805 traf ihn dann in Marburg eine drakonische Strafe für wiederholten Diebstahl: lebenslang in Eisen in der Strafanstalt Ziegenhain. Doch davon ließ sich der ehemalige Elberfelder Schmied kaum beeindrucken, denn mit Eisen und Schlössern kannte er sich offenbar aus. Er brach aus dem Gefängnis aus. Dieses Procedere behielt er bei und entwickelte sich zum notorischen „Ausbrecherkönig“: insgesamt viermal mal gefangengenommen, gelang ihm dreimal postwendend die Flucht aus dem Gefängnis.

1820 wird der „Schodenheinrich“, wie ihn das Publikum nannte, dann begnadigt. Vogt wandert aus, und seine Spur verliert sich schließlich in „Westindien“. Allmählich reagiert der Staat, hier die französischen Behörden, auf die Herausforderung des Bandenwesens durch eine Modernisierung seiner Exekutiv- und Sicherheitsapparate mit neuem Passwesen, mehr Gefängnissen und der Gendarmerie als Kern einer modernen Polizei, die später zusammen mit dem Militär in Preußen das historische Profil eines insgesamt autoritären Staates prägen sollte.

»Detlef Vonde ist Historiker, Erwachsenenbilder und Autor. Mehr von ihm zu lesen gibt es auf seinem Blog „histoTal“: