Was glauben Sie denn? Wuppertaler Kirchenkolumne: Wohltat und Wahrheit

Wuppertal · Wohltat und Wahrheit kann man ein Wortpaar übersetzen, das uns in der hebräischen Bibel in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder begegnet. In der hebräischen Sprache heißt es: „chessed we emet“.

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Allerdings bestehen die Worte jeweils nur aus drei Konsonanten und das „we“ , das beide verbindet, ist ein Konsonant. Im Hebräischen ist jeder Buchstabe gleichzeitig eine Zahl. Daraus entwickelte man eine spannende Zahlenmystik. Beide Worte haben zwar unterschiedliche Zahlenwerte, sie sind aber in der Quersumme gleich. Beide haben die Quersumme „9“. Das „we“ hat den Zahlenwert „6“. Diese Werte basieren wiederum auf der „3“, die auf Gott, Weltall und Mensch verweist. Daraus ergeben sich für unser Wortpaar sehr wesentliche Zusammenhänge, die wie gesagt, sehr unterschiedlich sein können. Dazu will ich noch bemerken, dass das „we“ in seiner geschriebenen Form am oberen Ende einen Haken bildet. Es hakt sich also in den höchsten Sphären fest und reicht bis zu uns herunter. Ein Symbol dafür ist Jakobs Traum von der Himmelsleiter. Er war in schwerer Bedrängnis, als ihm gezeigt wurde, dass es immer eine Möglichkeit gibt, sich hoch zu hangeln, um mit gestärktem Vertrauen weiter gehen zu können.

Wesentlich ist noch, dass „emet“ ein weiblicher und „chessed“ ein männlicher Ausdruck ist. Für alles, was hier auf der Erde und auch „unter den Augen des Himmels“ geschieht, tragen Frauen und Männer die gleiche Verantwortung. So wurde der Mensch erschaffen und so bleibt es bis ans Ende der Tage.

Schauen wir einmal auf die verschiedenen Übersetzungen dieses Begriffes, zum Beispiel in 1. Mose 47,29. Jakob bat seinen Sohn Joseph, der damals Vizekönig in Ägypten war, ihn nach seinem Tode nicht in Ägypten, sondern bei seinen Vätern in der Höhle Machpela bei Hebron zu bestatten. Jakob sagte ausdrücklich: „übe an mir chessed we emet. Rabbiner Plaut übersetzt: „erzeige mir Gewogenheit und Treue“. Rabbiner Samson Raphael Hirsch schreibt: „Übe an mir Liebe und Wahrheit.“ Jakob betonte damit die Dringlichkeit seiner Bitte. Er hat 14 Jahre in Ägypten gelebt und war ein angesehener Mann. Gleichzeitig sah er, dass dieses Land viele seiner Nachkommen verderben werde. Sie übernahmen die Bräuche Ägyptens und würden ihren Gott und ihren Auftrag vergessen. Jakob aber wollte nicht einmal in Ägypten begraben werden. Er wusste, dass er seinen Sohn mit dieser Bitte in einen Loyalitätskonflikt stürzte. Darum erinnerte er ihn mit „chessed we emet“ an den Gott der Väter und Joseph verstand ihn. Rabbiner Benno Jacob erinnert noch daran, dass dies ein freier Liebesdienst ist, auf den der Sterbende sich verlassen können muss, da es dafür keinen Dank von Seiten des Verstorbenen geben kann.

Auch der Sänger der Psalmen verweist immer wieder auf Gottes Liebe und Wahrheit, wie Rabbiner Hirsch übersetzt. Rabbiner Leopold Zunz spricht von Huld und Treue. So, zum Beispiel in Psalm 25,10 „...so sind alle Wege Gottes Liebe und Wahrheit..“ oder „...so sind alle Pfade Gottes Huld und Treue.“ Ebenso in Psalm 40, 11 +12, „…habe Deine Liebe und Deine Wahrheit der großen Gemeinde nicht verhohlen.“ Und bei Zunz: „…ich verhehle nicht Deine Huld und Deine Treue großer Versammlung und in Vers 12.“ Deine Huld und Deine Treue werden stets mich bewahren.“

Kehren wir in sehr irdische Bereiche zurück, so bleibt selbst da alles von Gottes Wohlwollen abhängig.

Nach Moses Tod will Josua, sein Nachfolger, das den Israeliten verheißene Land einnehmen. Auch er schickt zwei Kundschafter los. Die müssen sich vor einer drohenden Gefahr ausgerechnet bei einer Hure verstecken. Diese rettet sie dann, bittet aber, bei den drohenden Kämpfen möge man sie und ihre Familie verschonen. Die Kundschafter versprechen: „…wenn HaShem uns das Land gibt, so werden wir Gunst und Treue dir erweisen.“ So geschah es dann auch.

Der Prophet Micha schließt seinen Text mit den folgenden Worten: „Ja’akov wirst Du Treue erweisen und Avraham Gnade, wie Du geschworen unseren Vätern in den Tagen der uralten Zeit.“

Die Liste der Beispiele wäre noch lang. Ich will noch auf die Besonderheit des Wortes „Emet“ eingehen. Es sind, wie gesagt, drei Konsonanten. Das „Aleph“ ist der erste Buchstabe des Alphabets, das „Mem“ ist genau in der Mitte und das „Tav“ ist der letzte Buchstabe des Alphabets. Damit umfasst das Wort „Emet“ , das Wahrheit bedeutet, die ganze Bibel. Es gibt noch die Geschichte, dass das Aleph sich bei Gott beschwert hat, weil die Bibel mit „Bereschit“ also dem zweiten Buchstaben beginnt. Darauf hat Gott geantwortet, Er habe für das Aleph eine markantere Stelle vorgesehen, nämlich bei der Verkündung am Sinai, bei der Gott sagt: „Anochi“ bin HaShem dein Gott. Dieses Ich ist ein betontes Ich, das wesentlich mehr Gewicht hat als das gängige „Ani“.

Ob es Gott gibt oder nicht, kann kein Mensch entscheiden. Die Hebräer haben sich vor Jahrtausenden für Einen Gott entschieden und Juden sind ihnen bis heute gefolgt in dem Vertrauen, dass Seine Liebe und Treue, chessed ve emet, immer größer sein wird als seine Gerechtigkeit und Er seine Geschöpfe, die mit ihrer Freiheit nicht umgehen können, mit Liebe, Treue und Humor erträgt.