Kritischer Austausch Wuppertaler Krawatte verwandelt sich in eine Zukunftswerkstatt

Wuppertal · Im Quartierszentrum „Krawatte“ diskutierten Bürger unter anderem mit OB Schneidewind über die Zukunft Wuppertals.

Sabine Federmann, Direktorin der Diakonie Wuppertal, Oberbürgermeister Uwe Schneidewind und Barbara Reul-Nocke, Beigeordnete für Ordnung, Sicherheit und Recht der Stadt Remscheid im Gespräch.

Foto: JA/Andreas Fischer

Das Quartierszentrum „Krawatte“ – eine Hommage an die ehemalige Krawattenfabrik im Ortsteil Heckinghausen, war jetzt Veranstaltungsort für eine Zukunftswerkstatt, in der sich Oberbürgermeister Uwe Schneidewind und die Direktorin der Diakonie, Sabine Federmann auch den Fragen und Impulsen Wuppertaler Bürgerinnen und Bürgern stellten. Moderator war der inzwischen pensionierte Wuppertaler Sozialdezernent, Stefan Kühn.

Der große Veranstaltungsraum war bis auf den letzten Platz gefüllt, und die Leiterin der Krawatte zeigte sich im Rahmen ihrer Begrüßung völlig begeistert und angenehm überrascht, angesichts des überaus großen Interesses. „Wir hatten vielleicht mit 30 Gästen gerechnet, die öffentlichen Verkehrsmittel werden bestreikt. Heute Morgen war die Innenministerin zu Gast, und wir haben ihr von dem großartigen ehrenamtlichen Engagement, das Hoffnung ermöglicht, berichtet“´, erläuterte die Gastgeberin.

Überaus unterhaltsam moderierte der ehemalige Stadtdirektor und Sozialdezernent, Stefan Kühn. Noch während seiner Amtszeit konnte er sich über die offizielle Anerkennung des Quartierszentrums „Krawatte“ als Hort der Hoffnung freuen. Das pädagogische Zentrum, in dem auch ein Projekt der Flüchtlingshilfe untergebracht ist, erhielt 2023 den Nachbarschaftspreis. Den Auftakt im Rahmen der Zukunftswerkstatt gestaltete der „Krawattenchor“: Eindrucksvoll und farbstark gemusterte Krawatten dekorierten die weißen Hemden der Sängerinnen, die mit einem klingenden „Shalom Aleichem“ (Friede sei mit Euch) die Gäste begrüßten.

Danach übernahm Moderator Stefan Kühn die Regie und stellte als Experten für die Analyse von Herausforderungen und das Erarbeiten von Lösungsansätzen Oberbürgermeister Uwe Schneidewind und die Direktorin der Diakonie, Sabine Federmann vor. „Was ist Hoffnung?“, fragte Schneidewind in seinem Impulsbeitrag und bot eine Antwort, die der tschechische Schriftsteller und Politiker Václav Havel formulierte. „Hoffnung ist die Gnade an etwas teilzuhaben, das größer ist als man selbst.“ Jeder Einzelne könne etwas zur Hoffnung in eine gute und Zukunft täglich etwas beitragen, appellierte Uwe Schneidewind an die Anwesenden und würdigte das ehrenamtliche Engagement der vielen Unterstützer im Quartierszentrum Krawatte. „Hoffnung ist eine tiefe innere Gewissheit, für die es sich zu kämpfen lohnt“, formulierte der Oberbürgermeister.

Die „Krawatte“ zählt zu Wuppertals Orten der Hoffnung

Im Angebot zur Hilfestellung sieht Uwe Schneidewind ein Instrument für eine solidarische Gesellschaft. „Wenn wir die Kraft verlieren, gibt es auch keine Hoffnung auf eine demokratische Gesellschaft mehr“, appellierte der erste Bürger der Stadt. Mit guten Beispielen für „Orte der Hoffnung“, wozu er Utopia, die Junior-Uni oder die Wuppertal-Bewegung beispielhaft anführte, schloss Schneidewind seinen Impulsbeitrag.

Auch Sabine Federmann konstatierte „herausfordernde Zeiten“, und machte das an Einsparungen im sozialen Bereich – konkret an Wiedereingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose – deutlich. Auch Bereiche wie Pflege, Migration oder Beratung führte die Direktorin der Diakonie an. „Die Welt wird sich verändern“, ließ sie keinen Zweifel an Erschütterungen bisher stabiler Säulen der Gesellschaft. Wichtig sei aber, was sich im Kleinen entwickelt. Hoffnung keime dort, wo Menschen sich engagieren und füreinander etwas erreichen wollten, schilderte sie ihre Erfahrungen im Zusammenhang dessen, was sich im Quartierszentrum „Krawatte“ entwickelt hat. Die schlecht finanzierte Quartiersarbeit sei nur möglich, weil Ehrenamtliche unermüdlich und oft auch unbequem Spenden einwerben würden. „Graswurzel-Aktivitäten“ nannte Federmann die vielen kleinen Schritte, die am Ende dazu führten, dass eine engagierte Gesellschaft gut erhalten werde und sich weiterentwickeln könne.

Uwe Schneidewind rekurrierte angesichts der wachsenden Sorge, Angst und Unsicherheit aufgrund politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen auf das genetische Programm in der menschlichen Natur: „Die Gefahr lauert hinter jedem Busch“ beschrieb er den Angstimpuls, der dem Menschen innewohnt und ein überlebenswichtiges grundsätzliches und abstraktes Misstrauen beschreibt, das sich politische Populisten zunutze machten.

Der Alltag funktioniere
ganz gut

Nicht ganz einfach zu beantworten fanden beide Experten die Frage von Stefan Kühn, ob sich die Wirklichkeit verändert habe oder deren Wahrnehmung. Kühn berichtete, er mache – trotz aller Unkenrufe – die Erfahrung, dass der Alltag doch „irgendwie ganz gut funktioniere“. Diese Erfahrung machte Sabine Federmann an der Erfahrung fest, dass sowohl der Einzelne als auch die Institution handeln könnten, sodass sich nicht das fatale Gefühl der Ohnmacht einstelle. Schließlich gab es die Möglichkeit für die Gäste, sich mit Fragen und Impulsen an der Diskussion über die Zukunft der Gesellschaft zu beteiligen. Augenzwinkernd konstatierte Stefan Kühn angesichts der Armut der Stadt Wuppertal: „Wir haben Kreativität, und wir haben Engagement – also sind wir gar nicht arm!“

Andere Gäste wünschten sich einen besseren, freundlichen Umgang der Verwaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit vielen der 18 000 Flüchtlinge, die monatelang auf Bescheide warteten. Ein Gast formulierte Vorschlag und Kritik gleichermaßen: Die Plakatierung im Wahlkampf spalte aufgrund der Slogans und Parolen, signalisiere kaum Gesprächsbereitschaft und Kompromissfähigkeit. Wenngleich er keine Sympathie für die Alternative für Deutschland (AfD) hege, halte er es doch für sinnvoll, sich auf inhaltlicher Ebene mit dieser Partei auseinanderzusetzen, anstatt sie auszugrenzen. Dieses Verhalten konterkariere den Demokratiegedanken, erläuterte er.