Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kultur-Kolumne: Selbst schuld – Gesellschaft verpflichtet

Wuppertal · Von der Kleinfamilie bis zur Hofgemeinschaft, von der Kirchengemeinde bis zur Weltreligion, vom Dorfrat bis zu den Vereinten Nationen – jede Gemeinschaft hat selbst geschaffene Wertvorstellungen, Umgangsregeln und Rituale, zu deren Erhaltung sich ihre Mitglieder verpflichten.

Iris Panknin

Foto: Freies Netzwerk Kultur

Das ist die Grundlage von Kultur, die uns jeden Tag begleitet: als Gesprächskultur, Unternehmenskultur, Subkultur – je nach Kulturkreis.

Interessant ist der Blick auf die verschiedenen Kulturen, wenn es um die Fürsorge geht. Wie funktioniert der Umgang mit denen, die ihren kulturellen Rollen nicht gewachsen sind? Unsere kapitalistisch geprägte Kultur ist da rigoros: Wer nicht mitkommt, ist raus: selbst schuld, Ende der Gemeinsamkeit. Soziales Miteinander ist aber kein Wettstreit, sondern ein gegenseitiges Fördern. Wir alle sind auf diese wechselseitige Hilfe angewiesen. Zum Beispiel durch ein funktionierendes Rettungssystem, wenn ich einen Herzinfarkt habe. Aber auch durch eine professionelle Begleitung, wenn ich den Anforderungen der Gemeinschaft nicht genüge: weil ich keinen Arbeitsplatz finde, drogenabhängig bin, die Sprache nicht beherrsche oder in einer autoritären Beziehung gefangen bin – oft wird mir aufgrund meiner sozialen Umstände die Chance genommen, Teil der Kulturgemeinschaft zu sein.

In unserer Stadt leben rund 50 000 Menschen in solchen Situationen. Ihnen gelten die vielen Angebote, die von zahlreichen Trägern gemacht werden, um sie dabei zu begleiten, kulturelle Teilhabe zu erfahren. Damit ist nicht bloß der Museumsbesuch gemeint, sondern ein Alltag im Kreis der kulturellen Gemeinschaft – mit Wertschätzung, Akzeptanz und einer sinnstiftenden Aufgabe. Dafür kommt die Gesamtgemeinschaft auf: Das Wuppertaler Jobcenter bestimmt und koordiniert die Maßnahmen individuell in enger Kooperation mit den Trägern, finanziert durch Steuergelder des Bundes. Eine gute Lösung, die sich an den allgemeinen und individuellen Bedürfnissen orientiert. Bislang. Denn dieser politischen Kultur soll nun ein Ende gemacht werden.

Eine fatale Idee
aus der Politik

Ein aktueller Kabinettsentwurf sieht gewaltige Streichungen im Kultursektor und im Sozialwesen vor – vermutlich, um das 100-Millarden-Paket zur Waffenbereitschaft zu finanzieren. Damit geht der äußere Frieden auf Kosten des inneren. Denn dem gut funktionierenden Netzwerk aus Jobcentern und Maßnahmenträgern soll der Hahn abgedreht werden. 900 Millionen Euro Einsparungen sind bundesweit vorgesehen – eine fatale Idee, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Stadt schwer verletzen wird: die Funktionierenden auf der einen, die Abgehängten auf der anderen Seite.

Diese finstere Szenerie muss verhindert werden. Gemeinsam und solidarisch. Die erste Gelegenheit bietet ein Aktionstag, den das Jobcenter, zusammen mit bislang 24 Maßnahmenträgern unter dem Namen www.sozial-im-tal.de organisiert hat: Am Freitag, 29. September, um 11 Uhr protestiert die Wuppertaler Stadtgesellschaft vor dem Rathaus in Barmen gegen den Regierungsvorschlag und will ein Signal senden für sozialen Anstand und politische Kultur. Ich werde da sein. Denn wenn wir nichts gegen die Verwahrlosung unserer Stadtgemeinschaft tun, wenn wir den inneren Frieden in einer sowieso schon angespannten Zeit anstandslos preisgeben, dann sind wir an den Konsequenzen selbst schuld.

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