Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Die Errungenschaften unserer Stadtkultur
Wuppertal · Was einst undenkbar, ist heute unnormal normal
Die Sonne schneidet ein kleines Sommerloch in die Wolkendecke, im Gebüsch schreit eine späte Brut nach Futter und auf den Beeten winken die ekstatisch blühenden Farben diverser Mannschaften, um die wenigen Insekten zur public pollination anzulocken. Nebenan in der Grundschule läutet die Mittagsglocke und gleich poltert die ganze wilde Horde nah am Gartentisch vorbei; es muss jetzt schnell gehen mit dem Entschluss, worüber zu schreiben sei.
Ein gelegentlicher Vorwurf an diese Kolumne ist die „Selbstbespiegelung“, das Drehen und Wenden persönlicher Empfindungen in lebensfern erscheinenden Zusammenhängen der Kunst und Kultur. Wie ist dieser missverständlichen Falle zu entgehen? Eine „Kolumne“ ist laut Definition (in der Zeitungswelt seit Mitte des 18. Jahrhunderts) ein Meinungsbeitrag, der über eine lange oder wenige kurze Spalten, den „Kolumnen“, einen Themenkomplex variiert oder – wie im Fall des hochgeschätzten Uwe Becker – an schillernden Gedanken einer prominenten Person aufgehängt ist.
Verwandte Arten sind Glossen, Kommentare und Feuilletons. Neben den sonst seltenen und hier bereits über 300 Mal gegebenen Einblicken in die Berufswelt der Künstlerinnen ist eine weitere Aussage unserer Serie, dass die lokale WZ-Redaktion den Platz für das Thema überhaupt bereitstellen mag. Dafür sei hier ausdrücklich gedankt! Dass die in der selbstständigen Kunst Aktiven diesen Platz anstelle einer Autohauswerbung belegen dürfen, war in Wuppertal einst nicht denkbar.
Tal der Korruption hat dazugelernt
Es ist ungefähr so wie mit den Straßencafés. Erinnern Sie sich daran, wie wenige davon es noch in den 90ern in dieser Großstadt gab? Ein dichtes, so unumstößlich scheinendes wie unsinniges bürokratisches Regelwerk hielt uns davon fern. Die Möglichkeiten dieser Wunderstadt waren den Klotzköpfen nicht viel wert. Auch in manch anderen Themen hat das damalige „Tal der Korruption“ dazugelernt: Der internationale Blick geht zur Trasse, zu Utopiastadt, den Hunderten (!) Initiativen in ehemals grauen Quartieren, zu Kommendem wie dem Tanzzentrum, der Buga und auch zum Langen Tisch, der wieder eine einzigartige Manege für die Blütenpracht lokaler Engagements geboten hat. Eine „absolute Ausnahme“ von 1989 wurde zur Regel.
Dies ist leider keine Einbahnstraße; immer mehr Menschen scheint die Vielfalt in Gemeinschaft ein Dorn im Auge zu sein. Nicht nur die freien Künste, auch zahlreiche stadtkulturelle Reichtümer werden durch Nationalismen, Besitzstandswahrung und radikale Rechthaberei bedroht. Dies schreitet schneller voran als derzeit sichtbar. Damit lebt auch die seit dem eigenen Erwachsenwerden gestellte Frage wieder auf, was man selbst denn dagegen tun könne. Fürs Engagement braucht es jedoch keine Kolumne, keine Selbstbeschäftigung: Wir müssen uns lediglich trauen, nicht allein zu sein und uns das Gewonnene nicht wieder nehmen zu lassen. Wo, wenn nicht hier – im (laut Paul Zech) „regendunkel eingesargten“ Tal, in dem einst nur auf eigene Vorteile bedachte Menschen das Sagen hatten – gelingt die Teilhabe an Chancen des Gemeinsamen so gut wie in einer Wildblumenwiese?
Dass eine solche überlebenswichtig ist, haben wir durch die konkret bedrohte Zukunft zu lernen begonnen. Lernen wir im ungewissen Sommer weiter, sie zu genießen: dort, wo uns das Ungewöhnliche zur Gewohnheit werden soll. Gestern startete das Straßenkünstler-Festival auf der Freitreppe vorm Primark, ein Fest wider die Innenstadt-Misere. An jedem Juli-Dienstag von 18 bis 19.30 Uhr findet dort „Platz da!“ statt, mit internationalen Artisten auf Tour. Wir sehen uns vorm „Höschenbunker“! Infos dazu:
Ihre persönliche Meinung zur Kolumne erbitten wir an: