Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Schwieriger Umgang mit Nachrichten

Wuppertal · Kultur und die Weltlage – es ist kompliziert.

Torsten Krug.

Foto: Andreas Fischer

Wann hat das eigentlich angefangen, dass man auf die Frage „Wie geht`s?“ zu hören bekommt: „Na ja, nicht so gut – angesichts der Weltlage“? Oder: „Mich nimmt das alles sehr mit – die Weltlage“? Ich nehme mich von diesen Antworten nicht aus und kann sie sehr gut verstehen. Nicht die persönliche Situation, eine private Entwicklung scheinen manchmal am bedeutsamsten, sondern: „die Weltlage“.

Die Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien Anfang der 90er Jahre waren vielleicht die ersten, bei denen wir als Zuschauende »live« dabei waren. Ich erinnere mich an verwackelte Nachtkamera-Aufnahmen von Raketeneinschlägen in der Tagesschau. Das war damals neu und erschütternd, es ließ mich nicht gleich los. Die Rolle der Medien wurde damals durchaus diskutiert.

Heute scheint es normal, beim Warten an der Bushaltestelle auf dem Handy die Nachrichten zu checken und dabei unter Umständen Bilder oder Film- und Tondokumente von Kriegsverbrechen in sich aufzunehmen. Die eigene Psychohygiene scheint wichtiger (und notwendiger) denn je: Was sehe ich mir an, was lieber nicht? Hinzu kommen Fragen: Welche Information stammt von wem? Welche Perspektive erlebe ich hier? Und seit Neuestem: Ist das überhaupt real?

Vergangene Woche haben der Autor Marc-Uwe Kling und mehr als 100 weitere „Originale“ einen Aufruf gestartet, in dem sie ein Verbot des Fälschens echter Menschen fordern. „Rettet die Demokratie vor Deepfakes und manipulativen Bots!“, heißt es darin. Ein Tsunami an Fälschungen rolle auf uns zu, der es immer schwerer mache, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Manchmal wünschte ich mir fast, vieles von dem, was wir tagtäglich an Nachrichten zu sehen bekommen, wären (erklärte) Deepfakes und ich bräuchte mich nicht damit zu beschäftigen. Manche Menschen empfinden sich gelegentlich selbst als Deepfakes – eine psychologische Disposition, wie sie bereits die Romantik kannte, inklusive Doppelgänger und Identitätsverlust. Das eigentliche Problem, scheint mir, liegt in der Nähe, die wir den digitalen Medien seit ihrer Verbreitung mit Beginn dieses Jahrtausends in unserem Leben zunehmend gewähren.

Doch vielleicht ist diese Erkenntnis – dass alles mit allem zusammenhängt, wir tatsächlich immer Teil einer „Weltlage“ sind – ja auch eine wichtige. Früher galt der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt, als Bild dafür, dass etwas nicht der Rede wert sei. Spätestens seit der Pandemie jedoch wissen wir, dass dieses Bild falsch, es geradezu überlebenswichtig sein kann, ob auf einem Markt mit Lebendtieren in Wuhan eine Zoonose übertragen wird oder nicht (oder auch aus einem Labor entweicht). Die Pandemie hat die Globalisierung all unserer Lebenszusammenhänge erschreckend bewusst gemacht. Ist das möglicherweise der Zeitpunkt, seitdem wir alle antworten wollen und können: Es geht mir der Weltlage entsprechend?

Manchmal, wenn ich in einer nicht so gut besuchten Veranstaltung in einem unserer Kulturorte (inklusive der städtischen) sitze, denke ich: Sind die, welche heute nicht gekommen sind, vielleicht auch so erschöpft von der „Weltlage“ wie ich und haben sich statt für die Kunst für die Couch entschieden? Oder erscheint ihnen das Kulturangebot angesichts der „Weltlage“ einfach nicht so relevant?

Ich kann nur antworten: Fast immer, wenn ich mich trotzdem aufgerappelt habe, komme ich danach erfrischt und wacher nach Hause und habe neuen Mut geschöpft – manchmal allein aus der Tatsache: Wir waren alle zusammen da.

Ideen: kolumne@fnwk.de