Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Vom herausfordernden Handwerk des Hoffens

Wuppertal · Weitblick und Kultur sind aufeinander angewiesen.

Uta Atzpodien.

Foto: Ralf Silberkuhl

Die Zeit rast dahin wie ein brennendes Kaninchen: Schon ist das Loch zwischen den Jahren geschlossen und weiter geht die turbulente Fahrt. Zu den wichtigsten Vorsätzen zählt jener, das Formulieren von Hoffnungen nicht weiter zu verlernen, vor allem vom Hoffen auf das, was man übergreifend als Menschlichkeit bezeichnen kann. Unnötig? Nicht, wenn die Zeit sich zuweilen gar rückwärts zu bewegen scheint. Auf Plakaten in der Schwebebahn setzt sich eine Initiative dafür ein, das „N-Wort“ endlich als unverwendbar zu akzeptieren. Ein alter Hut, den wir Boomer schon im Schulbus diskutierten: Wer zu laut gegen den Alltagsrassismus sprach, bekam auch mal eine Faust zwischen die Worte. Es lodert meine Scham, dass wir in einem ganzen Leben voll brillanter Entwicklungen in solch einfachen Schritten kaum weiterkamen und bis zum Hals überschuldet sind.

Schlimmer noch: Längst ist der Reformstau wieder eine aktive, aggressive Komponente geworden, der es aktiv zu widerstehen gilt. Was können Kunst und Bildung darin ausrichten? (MC Graeff)

Torsten Krug.

Foto: Andreas Fischer

Natürlich immer weiter reformieren, reformieren, reformieren. Meiner Meinung nach am besten nach dem Motto: Antizyklisch handeln und dabei in Kreisläufen denken. Im Grunde versuchen wir vier (mit unseren Kolumnen-Gästen) ja genau das bereits verflixte sieben Jahre lang. Anhand von Beispielen, die wir auch und vor allem gerade in der Wuppertaler Kunst- und Kulturlandschaft finden. Manche Kunstereignisse liegen legendär weit zurück und haben von

Wuppertal aus nicht nur die Landeshauptstadt erreicht. Manche verändern gerade jetzt den Kunst- und Kulturbetrieb bis nach Berlin. Ich bin daher zuversichtlich, dass durch die ständigen Impulse der Künstlerinnen und Künstler, die in Wuppertal leben und arbeiten, ein Nachwachstum von

Tine Lowisch. Foto: Claudia Scheer van Erp

Foto: CLAUDIA SCHEER VAN ERP

Kunstexperimenten auch in Zukunft gewährleistet ist. So mancher undenkbare Zustand kann auch durch Kunst denk- und sichtbar gemacht werden. Das hoffe ich und bleibe durch so manchen „Kunstgriff“ auch im nächsten Jahr dankbar; nicht immer heiter, aber: Die Kunst geht weiter. (Tine Lowisch)

Max Christian Graeff.

Foto: C. Paravicini

Ein „schwier’ges Handwerk“ nennt Brecht das „Hoffen“ in seinem Gedicht „Frühling“. Hanns Eisler hat es in seinem „Hollywooder Liederbuch“ kongenial vertont. Inmitten einer glamourösen, oberflächlichen Scheinwelt schuf dieser dichteste Miniaturen. Im Wissen darum, dass er kaum auf eine zeitnahe Aufführung seiner Exil-Lieder hoffen konnte, notierte Eisler: „In einer Gesellschaft, die ein solches Liederbuch versteht und liebt, wird es sich gut und gefahrlos leben lassen. Im Vertrauen auf eine solche sind diese Stücke geschrieben“. Ein wiederkehrendes Thema ist die Situation des Künstlers und der Kunst unter den Bedingungen kapitalistischer Produktion sowie unter der Bedrohung durch den Faschismus. – Dass Kunst und Kultur die Grundlage unseres Daseins bilden (in Notzeiten, so zeigt die Geschichte, nahezu gleichrangig mit Nahrung und Unterschlupf), ist mir unbestreitbar. Dass sie langsam, aber beständig die Welt verändern, auch. Es wäre gut, wenn wir uns, angesichts bevorstehender Wahlen, darüber klar würden, was wir für sie auszugeben bereit sind. (Torsten Krug)

Welche besonderen Erfahrungen haben Sie in diesem Jahr geprägt? Was konnten Ihnen Bildende Kunst, Literatur, Musik, Tanz und andere Kunsterlebnisse mit auf den Weg geben? Das jeweilige Kaleidoskop sieht anders aus, auch unsere Kolumnen zeugen davon. Ein Innehalten – wie

hier – hilft, zu erkennen, welche Einsichten bewegen, Spuren hinterlassen und wohl möglich Veränderungen hin zu mehr Menschlichkeit, Empathie oder Solidarität auslösen. „Die Kunst ist die höchste Form von Hoffnung“, schrieb einst der Maler Gerhard Richter. In ihrem vielfältig-sinnlichen Spannungsbogen von Erkenntnis, Trost und Zuversicht spielen das Verstehen und Durchdringen eine besondere Rolle. Lücken und Löcher, wie auch Angegriffenes und Verdrängtes fordern geradezu ein, sicht- und greifbar zu werden. Unsere Gesellschaft braucht sie als Wegweiser hin zu mehr Empowerment und Gemeinschaftlichkeit. Dies können wir uns alle aktiv zunutze machen. Jetzt im Wahlkampf und in den Wahlen sind konkret die Mittel und der Raum dafür gefragt – und viel Weitblick. (Uta Atzpodien)

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