Hoffnung geben durch ein offenes Ohr Wuppertaler Streetworker Marc Frick sucht regelmäßig den Kontakt zu Menschen auf der Straße

Wuppertal · Menschen, die auf der Straße leben, fallen vielen Wuppertalern auf, auch deshalb, weil ihre Zahl steigt. Marc Frick (38) kennt die meisten von ihnen.

Marc Frick gehört zum Streetworker-Team der Diakonie.

Foto: Florian Schmidt

Denn er ist Streetworker der Diakonie, dreht regelmäßig seine Runden durch die Stadt, um Hilfe anzubieten. Der WZ hat er von seiner Arbeit erzählt – Hintergrundinformationen geben Marion Grünhage, Geschäftsführerin der Diakonie, und Cornelia Lieto, Leiterin des Bereichs Gefährdetenhilfe.

Das Team der Diakonie-Streetworker besteht aus elf Kolleginnen und Kollegen auf 4,5 Stellen, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, die sowohl an Ludwigstraße Beratung anbieten als auch draußen unterwegs sind. Einmal in der Woche zieht Marc Frick mit einer Kollegin oder einem Kollegen los, immer zu zweit: „Elberfeld ist der Hauptschwerpunkt“, erklärt er. Aber auch in Barmen sind sie unterwegs, manchmal auch in den Außenbezirken. „Wir gehen an die bekannten Schlaf- und Aufenthaltsplätze, schauen nach dem Rechten“, so Frick. Sie sprechen die Menschen an, fragen, ob sie etwas für sie tun können, wie der Stand etwa beim Beantragen von Sozialleistungen ist. Etwa 30 bis 35 Menschen treffen sie pro Rundgang.

Er und seine Kollegen seien den meisten Menschen auf der Straße bekannt: „Für uns ist Beziehungsarbeit wichtig.“ Die Menschen sollen Vertrauen fassen. Es gebe aber auch Personen, die keine Lust auf Kontakt haben, dennoch bieten sie ihre Hilfe immer wieder an, insbesondere, wenn sie gesundheitliche Probleme wahrnehmen. Geht es jemandem sichtbar schlecht, rufen sie auch den Rettungsdienst. Ansonsten weisen sie auf das Beratungsangebot an der Ludwigstraße hin, auf die Möglichkeit, sich im Café Ludwig tagsüber aufzuhalten, bieten Unterstützung bei Behördenangelegenheiten an. Etwa 100 „Draußenschläfer“ gebe es inzwischen, sagt Bereichsleiterin Cornelia Lieto. Zu etwa 80 davon haben sie Kontakt.

Die Streetworker werden gefragt nach einfachsten Dingen wie Essen und Trinken, Hygiene und Kleidung. Das kann Marc Frick im Café Ludwig anbieten. Das nächste Thema sei dann, Sozialleistungen zu beantragen. Das sei oft aufwendig: „Man braucht einen Personalausweis, dafür Fotos, dann einen Termin beim Meldeamt.“ Den online zu buchen, sei für Menschen auf der Straße kaum möglich. Falls sie ein Handy haben, fehlt oft ausreichendes Guthaben. Im Café Ludwig hätten sie Zugang zu einem Internetcomputer. Das Café öffnet aber erst um 9 Uhr, offene Termine sind meist früher vergeben. Auch, wieder in eine Krankenkasse einzutreten, ist mit hohen Hürden verbunden. Oft verlangten die Kassen ausstehende Beiträge für die Vergangenheit zurück. Das könnten bis zu fünfstellige Summen sein.

Mehr als die Hälfte
ist psychisch krank

Natürlich gehört die Vermittlung von Wohnungen und Notschlafstellen zu ihrer Arbeit. Kurz vor Weihnachten hätten sie noch zahlreiche Menschen vermittelt, sagt Cornelia Lieto. „Wir versuchen, möglichst viele Menschen von der Straße zu bekommen.“ Mit kleinen Veranstaltungen versuchen sie, Menschen den Weg in die Beratungsstelle zu erleichtern, laden zum Sommergrillen oder Adventsgrillen.

Wo die Streetworker er nicht helfen können? „Ich kann nicht helfen, Drogen zu beschaffen“, betont Marc Frick. Auch bei Passangelegenheiten könne er nicht helfen, wenn etwa jemand seinen Pass verloren hat. Bei Rechtsproblemen und Schulden vermitteln er und seine Kollegen an andere Beratungsstellen.

Eine wachsende Herausforderung sei, dass viele Menschen auf der Straße psychisch erkrankt sind – mehr als die Hälfte, sagt Cornelia Lieto. Marc Frick bestätigt: „Wir sehen, wie auffällig einige Personen sind, bekommen auch immer mehr Meldungen.“ Diakonie-Geschäftsführerin Marion Grünhage erklärt, die Helfer bringe das in schwierige Situationen: „Viele Betroffene lehnen eine Behandlung ab. Und jeder hat das Recht zu entscheiden, sich nicht behandeln zu lassen.“ Das sei durchaus ein Dilemma: Einerseits wolle man die Selbstbestimmung der Menschen respektieren, andererseits sei es schwer auszuhalten: „Wir sehen Menschen verelenden.“ Personen gegen ihren Willen in Behandlung zu bringen, sei nicht leicht. Wenn ein Amtsarzt oder Richter sie begutachten wolle, seien sie nicht dort anzutreffen, wo man sie erwartet, manche zeigten im Moment der Begutachtung keinerlei ungewöhnliches Verhalten.

Auch die Veränderungen auf dem Drogenmarkt wirkten sich aus. Cornelia Lieto erklärt: „Es gibt eine Opiatkrise. Das heißt, es sind so gut wie keine Opiate mehr auf dem Markt.“ Ursache sei das Verbot des Mohnanbaus in Afghanistan. Viele konsumierten stattdessen synthetische Drogen wie Crack oder Fentanyl, unter deren Einfluss sie sich noch weniger steuern können. Gleichzeitig spiele Alkohol weiter eine große Rolle.

Die Arbeit mit den Menschen auf der Straße hat sich auch durch die steigenden Zahlen verändert. Marion Grünhage berichtet: „Früher gab es intensiverer soziale Beziehungen, die Sozialarbeiter kannten jeden persönlich und mit Namen. Das hat sich geändert.“ Jetzt hätten die Menschen zudem noch existenziellere Nöte: „Manche haben nichts mehr zu verlieren“, sagt sie. Etwa manche Menschen aus EU-Ländern seien „am Boden“, weil sie hier keinen Anspruch auf Transferleistungen haben, wenn sie nicht durchgehend fünf Jahre gearbeitet haben, aber auch nicht zurück in ihr Herkunftsland wollen. Ein Grund könne etwa sein, dass ihnen dort wegen Schulden Gefängnis drohe.

Marc Frick weiß, dass seine Hilfe nur bei einem Teil ankommt – obwohl es zahlreiche Angebote gibt: „Es gibt viele, die lange auf der Straße bleiben“, sagt er. Er kenne einige noch aus seiner Kindheit. Problematisch sei der höhere Druck auf dem Wohnungsmarkt: „Das hängt eng mit der Zahl der Menschen ohne Wohnung zusammen“, betont Marion Grünhage. Cornelia Lieto erklärt, Vermieter hätten früher auch schwierigere Mieter aufgenommen. „Heute können sie sich die Mieter aussuchen“. Marc Fricke weiß inzwischen, dass er für Menschen mit Schulden kaum eine Wohnung findet.

Es ist dringend
mehr Wohnraum nötig

Und noch eine aktuelle Entwicklung zeigt sich auch bei der Wohnungs- und Obdachlosigkeit: „Wir hatten im vergangenen Jahr bei den Menschen unter 25 Jahren einen Anstieg um ein Viertel“, berichtet Cornelia Lieto. „Das sind die Auswirkungen der Pandemie.“ Junge Leute würden „rausgeworfen“, weil Eltern mit deren Depressivität nicht mehr zurechtkommen.

Auf der Straße landeten dann hauptsächlich junge Männer, junge Frauen fänden eher Unterschlupf. Insgesamt sei etwa ein Viertel aller Menschen auf der Straße Frauen – womit sich der Frauenanteil erhöht hat. Insgesamt sei dringend mehr Wohnraum nötig, um den Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen. Marion Grünhage sagt: „Wir wünschen uns ein umfassendes Konzept mit mehr Möglichkeiten, Wohnraum zu vermitteln.“ Denn eines sei klar: Die Menschen auf der Straße „verschwinden“ nicht.

Marc Frick arbeitet als als Streetworker, weil er damit Menschen helfen kann: „Ich kann Menschen Hoffnung und eine Perspektive geben.“ Dabei müsse er natürlich auch Rückschläge und Frustration aushalten. Auf der anderen Seite gebe er vielen schon Hoffnung, wenn er einfach ein offenes Ohr für sie habe. „Das kann einfach die Frage sein: ,Wie geht’s? Wie war die Nacht?’“

Die Erlebnisse mit den Klienten hängen ihm durchaus auch nach Feierabend nach. Besonders berührt es ihn, wenn „jemand mir ähnlich ist“: Neulich habe er gedacht: „Krass, der ist genauso alt wie ich, hat die gleiche Schule besucht, dann hat ihn ein Event aus der Bahn geworfen. Dann merkt man, wie schnell sich das Leben ändern kann.“ Und ein besonderes Highlight sei für ihn gewesen, wie sich jemand auf seine eigene Wohnung freute: „Derjenige hat sich vorgestellt, dass er bald ausschlafen kann, dann morgens einen Kaffee an seinem eigenen Tisch trinken kann. Das hat ihn schon glücklich gemacht.“