Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Im Spinnennetz der Wünsche
Wuppertal · Das Unperfekte zählt mehr als falscher Glanz.
Es ist geschafft: Ein Seufzer der Erleichterung klingt aus den E-Mailfächern, die Flut der Jahresendgrüße ebbt langsam ab. Sie kamen in Horden, von Institutionen, Unternehmen und Vereinen, und manche hatten tatsächlich eine Botschaft, doch andere konnte man trotz Varianten kaum voneinander unterscheiden: herausfordernde Welten, heikle Prognosen, schwindende Kräfte bildeten den Unterton für die Dekoration aus jeder Menge Feeling, Destressing, Verwöhnvermögen, dynamischer Harmoniekompetenz, Exzellenz und vor allem viel Brillanz im potenzierten Neustart in die Erfolge von morgen. In diesem Jahr klangen diese Wünsche noch gleicher und blödsinniger als sonst, was am Einsatz der künstlich formulierenden Maschinenintelligenz gelegen haben mag. Natürlich muss ich zugeben, dass ich im Geflecht der Fragen, was denn auf welche Weise nutzbringend oder sogar unterhaltend über die Gegenwart zu sagen sei, selbst ein wenig ausgeleiert bin. Das Bemühen, es allen Wünschen recht zu machen, hat noch selten etwas Gelungenes hervorgebracht.
Allzu verschieden sind die Begehren und Bedürfnisse der Menschen in ihren diversen Lebenslagen: ob es um die Zukunft von Ländern nach Diktaturen und Kriegen geht, um die geringen Chancen auf ein besseres Leben an einem anderen Ende der Welt, um synthetische Träume von konsumreichem Dasein, um den noch fetteren SUV, um den eigenen Körnernapf des Rotkehlchens in meinem Garten, nichts davon lässt sich unter einen Hut bringen. Erst recht abgesehen von jenen Begehren, die anderen Menschen Übles wünschen, denn auch zu diesem sogenannten Fest der Liebe sei nicht vergessen, dass recht viele Feierwütige auch in unserem Land manch anderen nichts weniger wünschen als den Tod. Und auch in den wahlkämpfenden Bocksgesängen hört man zunehmend den Wunsch nach weniger Kunst und Kultur; sie seien in weiten Bereichen unnational, versifft und eben doch nicht systemrelevant.
„Wenn ich mir was wünschen dürfte, / käm ich in Verlegenheit, / was ich mir denn wünschen sollte, / eine schlimme oder gute Zeit …“. Dieses Lied von Friedrich Hollaender sang die wundervolle Diva Georgette Dee im August 1985, zur Eröffnung des „Kulturpalast“ in der Luisenstraße 100. Rund 70 Gäste passten in die drei winzigen Fachwerkräume. Es gab fortan ein wenig Geld vom Kulturamt plus 50 Mark von der Sparkasse für jede Anzeige im fotokopierten Programmheft. Die Unterstützung deckte die Heizkosten nicht, und so gab ich den wahren Palast nach zwölf Monaten und 50 Veranstaltungen in andere Hände. Rückwirkend ist die Jahresbilanz nicht schlecht: Gesamte etwa 1000 Eintritte wurden mit zwei Mark pro Kopf subventioniert; viele der Veranstaltungen hatten künstlerische Folgen und gaben manchem individuellen Blick aufs Leben eine neue Richtung. Das war, in Feierdeutsch gesprochen, maximal schillernde Wertschöpfung mit einem Höchstwert nachhaltiger Effizienz – und neben den Scheinwerfern der anerkannten Wichtigkeiten eben doch nur ein kleines, flackerndes Friedhofslicht.
Das Unperfekte, Improvisierte und oft Vorübergehende ist stets die Keimzelle dessen, was später zuweilen auf großen Bühnen, Kunstmessen und Titelblättern zu sehen sein wird – oder besser: zu sehen wäre, denn zugleich ist es das Erste, was angegriffen, „entsifft“ oder auch in derzeitiger völlig unökonomischer Sparwut und Effekthascherei verunmöglicht wird. Mit dieser Taktik in Bildung und Kunstbetrieb werden die Opernbühnen von morgen geleert. Über den „Kulturpalast“ und seine Folgen berichte ich im neuen Jahr einmal im Kulturmagazin „Die beste Zeit“, das ab Januar wieder neu erscheint. Liebe Kulturfreundinnen: lasst es wachsen, lernen und erblühen, das heißt auch: nicht nur glänzen, sondern Fehler machen, lasst es unperfekt und spannend sein. Abonniert und gelesen werden sollte es dafür schon. Das wünsche ich mir von dieser Kulturstadt in angriffiger Zeit: Progress statt Perfektion, Aufregung statt Bequemlichkeit. Greifen Sie zu!
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