Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Wann weicht sprühende Energie der Gleichgültigkeit?
Wuppertal · Die „schlimme Jugend von heute“ wächst in einer Welt auf, mit der die vorigen Generationen viel zu achtlos umgegangen sind, meint die Gastautorin.
„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widerspricht ihren Eltern, legt die Beine übereinander und tyrannisiert ihre Lehrer.“ Das soll der Philosoph Sokrates vor mehr als 2400 Jahren geschrieben haben, behauptete K. J. Freeman im Jahr 1907.
Wie auch immer: Viel scheint sich in der Wahrnehmung der Erwachsenen seit der Antike nicht geändert zu haben. Noch heute schimpfen wir Betagteren über die Jungen, kritisieren sie, was das Zeug hält, machen sie verantwortlich für unangenehme Veränderungen unserer Bequemlichkeiten. Dass wir auch jung und unbequem waren, Dinge verändern wollten, vergessen wir dabei allzu leicht. „Die schlimme Jugend von heute“, die mit den „schlechten Manieren“, wächst jedoch in einer Welt auf, mit der wir und die vorigen Generationen viel zu achtlos umgegangen sind. Das Gewicht der Konsequenzen unserer Entscheidungen lastet auf ihren Schultern. Selbstverständlich können wir von ihr erwarten, dass sie für sich einsteht, dass sie die richtigen Entscheidungen trifft, dass sie unsere Welt zum Guten verändert. Doch was sind wir bereit, ihr im Gegenzug anzubieten?
Ich bin eine sogenannte Millenial. Ich wuchs zu einer Zeit auf, die – vergleichsweise – sorglos war. Eine Welt, in der wenig hinterfragt, wenig demonstriert wurde. Eine Welt, in der sich der Informationsfluss nicht in Lichtgeschwindigkeit-Glasfasern bediente. Handys waren die Ausnahme, nicht die Regel. Filme und Fotos zu machen, war mit erheblichem Aufwand verbunden. Auch ich denke mit nostalgischer Wehmut an diese Zeit zurück, wünsche mir ihre Leichtigkeit und vor allem Langsamkeit herbei. Ist jedoch meine romantisierte Sehnsucht danach Grund genug für eine kategorische Ablehnung der Jugend von heute und ihren eigenen Parametern?
Seit neun Jahren leite ich das Jugendtheater Close Up im Herzen Wuppertals mit. Unser Hauptquartier ist das wunderschöne Haus der Jugend Barmen. Ein geschichtsträchtiges Haus an einem Platz, dessen Name schon für den Ungehorsam der Jugend steht: Geschwister-Scholl-Platz. Die Jugend war jeher Katalysator der Veränderung. Sie wollte schon immer gehört, ernstgenommen werden. Nichts ging und geht ihr schnell genug, alles war und ist immer so endgültig. Während ihre Probleme für uns Lappalien sind, sind sie für sie weltbewegend. Wann vergessen wir diese Zeit, die wir ja selbst alle mal erlebten? Wann weicht sprühende Energie der Gleichgültigkeit? Was führt dazu, dass wir ihr ihre Ängste nicht mehr abkaufen?
Dass wir uns über die Jugend aufregen, sie belächeln, wenn sie sich für Dinge einsetzt, die die Welt verbessern sollen, auch, wenn ihre Methoden uns missfallen? Welche tradierte Arroganz führt uns dazu, dass wir junge Menschen als Schulschwänzer und Schulschwänzerinnen bezeichnen, wenn sie für das Klima auf die Straße gehen? Was geht in uns allen vor, wenn wir übers Gendern wütend werden? Welche überdimensionalen Zacken brechen ab von unseren schweren und vor allem temporären Kronen?
Als künstlerische Leitung eines politischen Jugendtheaters, das mit jungen Menschen aus verschiedensten soziokulturellen Hintergründen arbeitet, kann ich Ihnen eine Sache versichern: Es wächst eine Jugend heran, die politischer, verkopfter, differenzierter, aber auch angsterfüllter nicht sein könnte. Lassen Sie sich nicht blenden von den TikTok-Videos, Instagram-Reels, den teilweise blödsinnigen Challenges, die von diversen Medienunternehmen hochgepusht werden. Die schlimme Jugend von heute ist alles andere als schlimm – und verdient es gehört und ernstgenommen zu werden.