Rainer Widmann stellte Kuriositäten und Ideologie der Stadtplanung von 1930 bis heute vor „Wuppertal hatte Angst, wegen des Verkehrs abgehängt zu werden“
Rainer Widmann stellte die Ideologie der Stadtplanung in einem Vortrag vor.
Eine dreistöckige Brücke von der Hardt zur Barmenia, ein Tunnel unter der Briller Straße, ein Autobahnkreuz am Döppersberg – in einem spannenden, teils rasanten Vortrag stellte Rainer Widmann Kuriositäten und Ideologie der Wuppertaler Stadtplanung von 1930 bis heute vor. Der ehemalige Leiter der städtischen Verkehrsplanung konnte bei vielen Projekten noch aus eigener Anschauung berichten; darüber hinaus hatte er alte Karten und Bücher mitgebracht, um den leider wenigen Besuchern zu erklären, welche Ideen zu welchen Straßen geführt haben. Zu dem Vortrag hatte das Bürgerforum Oberbarmen in die Färberei eingeladen.
„Die Stadt ist relativ spät entstanden, weil die Topographie so schwierig zu erschließen war“, nannte Rainer Widmann ein Grundproblem, mit dem Städteplaner bis heute kämpfen. Die ersten Fernstraßen führten deshalb an Wuppertal vorbei. Erst ab 1806 baute das Großherzogtum Berg Chausseen in die Nachbarstädte. 1775 wurde mit der Heckinghauser Zollbrücke eine erste Steinbrücke über die Wupper errichtet. Ab 1841 angelegte Eisenbahnstrecken nach Düsseldorf und ins Ruhrgebiet gaben der Stadt entscheidende Impulse. 1944 galt Wuppertal nach Berlin und Hamburg als die Stadt mit den meisten Bahnstationen (nämlich 49). Der Wuppertaler ÖPNV war 1940 der sechstgrößte im Deutschen Reich. Den Rückbau der Straßenbahn 1970 hält Widmann für einen Fehler: „Im Gutachten wurde der Anstieg des Dieselpreises nicht berücksichtigt und dass die Straßenbahnen viel länger halten als Busse.“
Der Zeitgeist der Nachkriegsjahre stellte die „autogerechte Stadt“ in den Mittelpunkt. Widmann erzählte, wie dieses Leitbild bereits 1933 beim Internationalen Kongress für neues Bauen in Athen entwickelt wurde. Die Idee damals: Quartiere sollten funktional getrennt werden nach Wohnen, Industrie, Einkauf und Büros. Die verschiedenen Gebiete sollten mit „konfliktarmen Verkehrsflächen“ verbunden werden. Als Beispiele für Wuppertal nannte Widmann die neuen Siedlungen am Uellendahl und Eckbusch sowie die für bis zu 28 000 Einwohner geplante, nie realisierte Trabantenstadt in Nächstebreck. Dorthin war auch eine Verlängerung der Schwebebahn geplant. Allerdings zeichnete sich in den 70er Jahren ab, dass die Einwohnerzahlen nicht wie gedacht auf 450 000 steigen würden und das Neubaugebiet deshalb überflüssig wurde.
Bereits ab 1937 kaufte die Stadt Grundstücke für die A46
Schon 1938 gab Wuppertal einen Generalverkehrsplan in Auftrag. Darin sind in Elberfeld zwei große Plätze und breite Straßen für Aufmärsche vorgesehen. Auch eine Entlastungsstraße für den Ost-West-Verkehr über die Nordhöhen wurde damals schon geplant. „Wuppertal hatte große Angst, wegen des Verkehrs abgehängt zu werden, und wollte unbedingt an die großen Fernstraßen angebunden werden“, erklärte Widmann. Bereits ab 1937 habe die Stadt Grundstücke für die heutige A46 angekauft. Ab 1963 wurde dort der Autobahnbau begonnen. Für das Sonnborner Kreuz wurden ab 1968 sehr viele Menschen umgesiedelt und ein ganzer historischer Ortskern zerstört. Es entstand das damals größte Autobahnkreuz Europas – so brüstete sich jedenfalls Wuppertal. Ab 1974 war die damalige A201 durchgehend befahrbar.
Ein Meisterwerk war auch der 1970 eröffnete Kiesbergtunnel, der erste Doppelstocktunnel in Europa. Nicht verwirklicht wurden hingegen die A31 – der Friesenspieß von Vohwinkel Richtung Süden – von der heute noch die breit angelegte Straße kurz vor Müngsten zeugt. Auch die Nordtangente, die Südhangschnellstraße und der Abstieg Bendahl blieben Theorie. Für letzteren sollte das Gebiet an der Wolkenburg mit Trümmerschutt aufgeschüttet und eine breite Brücke als Entlastungsstraße angelegt werden. Als Wunsch galt es damals, dass jeder Einwohner innerhalb von zehn Kilometer eine Autobahn erreichen sollte. Wobei die Planer 1977 davon ausgingen, dass bei 450 000 Einwohnern die Vollmotorisierung bei 156 000 Autos liege. Heute haben 362 000 Wuppertaler 202 687 Kfz angemeldet.
Erst in den 80er Jahren setzte ein Umbruch ein. Ideen wie die dreispurige Straße durchs Luisenviertel oder die dreistöckige Brücke über die Elberfelder Innenstadt gelangten nicht mehr zur Ausführung. Fußgänger und Radfahrer – vorher für die Planer nicht existent – rückten mehr in den Fokus. 1960 wurde der Werth teilweise zur Fußgängerzone, 1969 folgte die Kirchstraße in Elberfeld. Nach und nach wurden 221 Kilometer Radweg gebaut – darunter Widmanns Lieblingsprojekt, die Nordbahntrasse.