Spiritualität Theologe der Wuppertaler Uni fragt: Sind die Engel heutzutage wichtiger denn je?

Wuppertal · Die Existenz der geflügelten Geschöpfe lässt sich nicht beweisen. Es gibt Differenzen zwischen Menschen, Engeln und Gott.

Eine große Engelschar im Wuppertaler Norden: Sie befinden sich an der Kirche St. Michael in Uellendahl.

Foto: Norbert Brieden

Melina, ein fünfjähriges Mädchen, die in ihrem Kindergarten von einer Studentin zu ihren Vorstellungen von einem Engel befragt worden ist, antwortet: „Man kann Engel nicht sehen, aber die können uns sehen. Und Gott kann die Engel sehen. (…) Wenn die uns sehen, dann beschützen sie uns. Aber manchmal schickt Gott sie nach oben und dann haben die Menschen Pech und sterben und verletzen sich, wenn Gott nicht auf sie aufpasst.“ Für Norbert Brieden, Professor für Praktische Theologie an der Bergischen Universität, zeigen die Antworten bei der Umfrage allesamt ein Gespür für die Differenzen zwischen Menschen, Engeln und Gott. Ob es daran liegt, dass besonders junge Menschen noch intuitiver mit Wirklichkeiten, die Erwachsenen aufgrund ihrer Gewohnheiten abhandengekommen sind, umgehen, bleibt dabei seine Hypothese.

Engelvorstellungen und deren Beschreibungen finden sich in vielen Texten. Aber gibt es auch eine konkrete Vorstellung der geflügelten Wesen? Brieden antwortet mit einem Zitat des Künstlers Paul Klee, der sich zeitlebens mit den Engeln in seinen Bildern auseinandergesetzt hat und in den 1920er-Jahren formulierte: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht das Unsichtbare sichtbar.“ Das entspreche eigentlich auch der dogmatischen Vorstellung von Engeln, sagt Brieden, weil sie Gottes Geschöpfe seien. „Gott hat die sichtbare und unsichtbare Welt geschaffen. Der Mensch und die Schöpfung gehören zur sichtbaren Welt, und die Engel gehören zur unsichtbaren Welt.“ Doch auch diese unsichtbare Welt sei für den Menschen nicht verschlossen. „Die Engel scheinen mir eine Wirklichkeit zu sein, die jeder Mensch erspüren kann. Aber sie lassen sich nicht festhalten und beweisen, genau so wenig, wie man Gott beweisen kann.“ 

Engel schmücken Kirchen und Kathedralen auf der ganzen Welt. Brieden verweist in diesem Zusammenhang auf seine eigene Kirchengemeinde St. Michael im Elberfelder Stadtteil Uellendahl. „Dort wird das Portal behütet von einer ganzen Engelschar.“ Und auch in der Musik finden sich unendlich viele Engel.

Engel waren vor
den Menschen da

„Dem Mythos zufolge gibt es Engel schon, bevor es den Menschen gab“, sagt der Theologe, denn der gefallene Engel (Luzifer) habe sozusagen Plätze im Himmel geschaffen, und Gott erschaffe den engelgleichen Menschen, wird gar selber Mensch. Brieden: „Vielleicht kann man sagen, dass die Vorstellung von Wesen, die zwischen Gott und Mensch vermitteln, auftaucht, sobald es Menschen gibt, die nach dem Sinn des Ganzen fragen und an Gott glauben.“

Aber nicht nur das Christentum kenne neben Gott und dem Menschen noch Wesen, „die zwischen beiden Welten stehen und eventuell auch zwischen ihnen vermitteln“, erklärt Brieden. Andere Kulturen sprechen von Ahnen, Seelen, Geistern, Dämonen oder Mächten. Interessant dabei sei, sagt Brieden, dass „viele dieser Geistwesen mit Flügeln dargestellt würden, etwa die Apsaras in der vedischen Religion, einem Vorläufer des Hinduismus“. Die Apsaras waren Wassergeister, die sich mithilfe der Flügel fortbewegten und den Menschen Weisungen der Götter überbrachten. Flügel waren auch das Erkennungszeichen von Isis, dem Todesengel im alten Ägypten, oder vom griechischen Götterboten Hermes. Aus dieser griechisch-römischen Welt rühre auch die Vorstellung eines menschenähnlichen Wesens, weiß der Wissenschaftler. „Im Laufe der Geschichte wechselten die geflügelten Wesen auch immer wieder mal ihr Geschlecht“, berichtet Brieden.

Der Aufgabenbereich der Boten Gottes liegt in der Vermittlung von Botschaften und im Schutz von Personen. Ob als Mensch und Wegbegleiter getarnt, oder als Rauch- oder Feuersäule einen Weg markierend, die Wahrnehmung der zwischenweltlichen Wesen kann dabei sehr unterschiedlich sein.

Engel vermitteln zwischen
Gott und dem Menschen

„Engel sind personale Wirklichkeiten, durch die sich der Mensch als das Wesen zeigt, nach dem Gott sich sehnt. Gott kann dem Menschen über die Engel nahekommen. Sie mahnen den Menschen, auf dem richtigen Weg zu bleiben und dafür gebührt ihnen Respekt“, sagt Brieden.

Europa ist heute wieder im Krieg. Sind Engel heute wichtiger denn je? Über das Böse in der Welt machen sich auch die Kirchen ständig Gedanken. „Das Nachdenken über den Engelsturz dient der Klärung der Frage, wie das Böse in die gute Schöpfung Gottes gekommen ist“, sagt Brieden und fragt: „Wie kam es dazu, dass die anfangs guten Engel zu bösen Teufeln mutierten?“ Fünf wesentliche Faktoren werden dazu konfessionsübergreifend diskutiert. „Erstens die Lust, also die Triebe des Menschen, zweitens die Maßlosigkeit, drittens der Stolz als Eitelkeit, viertens der Neid auf Gott und die Menschen aufgrund der Menschwerdung Gottes und fünftens die Nachlässigkeit aus bequemer Heilssicherheit“, erläutert der Theologe. „Diese Engel degenerieren unmerklich, weil sie das Unselbstverständliche für selbstverständlich halten. Die Motivation zu Dank und Anbetung erschlafft, die Wesen versinken in ihrem selbstbezüglichen Selbsterhalt.“

Brieden hält vor allem das Thema Nachlässigkeit für wichtig, denn durch den Rechtsstaat, unseren Konsumfrieden und Sozialversicherungen schienen wir bisher bequem ausgestattet. „Doch die aktuellen Krisen wie Corona, der Klimawandel, Krieg und Inflation treiben uns nun aus unserer Bequemlichkeit heraus“, gibt er zu bedenken, unser Dasein scheine von anonymen Mächten und Gewalten bestimmt. Die Frage sei, wie der Mensch diesen Systemzwängen und alternativlosen Entscheidungen begegne? An dieser Stelle könne die Liturgie wieder eine wichtige Rolle spielen, wenn sie den Menschen klarmache, dass Christus über der Wirtschaft und all den scheinbaren Zwängen stehe. „Dann würde das ,christlich zu leben‘ auch wieder attraktiver werden können.“

Ein schönes Beispiel, wie an dieser Stelle auch Engel hilfreich vermitteln können, hat Brieden in s`Hertogenbosch, einer kleinen Stadt in den Niederlanden entdeckt. Seit April 2011 ist an der Südfassade der Kathedrale die Statue eines Engels mit Handy zu sehen. Ein Hinweisschild verweist auf eine Telefonnummer, unter der man den Engel anrufen kann.