Wissenschaft Wuppertaler will den Heileffekt von Pflanzen aus Brasilien nutzbar machen

Wuppertal · Was im traditionellen Wissen der Ureinwohner verankert ist, will Jörg Rinklebe jetzt wissenschaftlich nachweisen.

Wissenschaftler und Frauen aus der Community haben sich auf dem Versuchsfeld in Brasilien versammelt.

Foto: Jörg Rinklebe

Viele Pflanzen sehen nicht nur schön aus – manche von ihnen haben auch eine heilende Wirkung. Seit Jahrhunderten werden Pflanzen und ihre Inhaltsstoffe in der Medizin und in der Kosmetik genutzt. Manche dieser Pflanzen stammen aus Brasilien. „Die Ureinwohner Brasiliens nutzen viele Pflanzen aus Zentralbrasilien als Wund- und Heilpflanzen. Sie haben traditionsreiches Wissen, die Pflanzen sind aber nicht wissenschaftlich untersucht“, erklärt Jörg Rinklebe, Professor für Boden- und Grundwassermanagement an der Bergischen Universität Wuppertal.

Er ist Leiter eines Forschungsprojektes der Uni Wuppertal in Zusammenarbeit mit der Freien Universität (FU) Berlin und zwei brasilianischen Universitäten, das diese Pflanzen genauer unter die Lupe nimmt. „Das Ziel ist, diese Pflanzen zu untersuchen und in Deutschland zu kultivieren. Sie sollen direkt in ein Produkt, nämlich in eine Wundsalbe, überführt werden. Gleichzeitig wollen wir den Menschen vor Ort ein Einkommen verschaffen“, erklärt Rinklebe.

Die Idee, die Pflanzen in Deutschland zu kultivieren, ist ein langfristig überlegter Gedanke. Zunächst aber soll das Projekt den Menschen vor Ort helfen – genauer: der Frauencommunity in der Region Cerrado. „Sie leben in ärmlichen Verhältnissen und erzeugen landwirtschaftliche Produkte. Das Ziel ist, dass sie die Heilpflanzen anbauen und vermarkten. Dadurch erhöhen sich ihre Einnahmen“, berichtet der Wissenschaftler. Auch die brasilianische Firma „Livealoe“, die Bio-Kosmetik herstellt, ist Teil des Projektes. Die Firma produziert Produkte auf Basis von Aloe Vera und soll neue Heilmittel entwickeln.

Jörg Rinklebe von der Bergischen Universität kennt sich mit Heilpflanzen aus.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Ende April ist Jörg Rinklebe nach Brasilien gereist – und hat gemeinsam mit den Wissenschaftlern der anderen Universitäten die Frauencommunity und die Firma besucht. „Wir waren auf den Farmen mitten im Dschungel. Das war schon sehr beeindruckend“, erzählt er. Er hat von seinem Aufenthalt viele Pflanzen- und Bodenproben mitgenommen. Sie werden unter anderem in einem kleinen Gewächshaus auf dem Campus Haspel kultiviert und im Labor analysiert. Zu den Pflanzen zählen beispielsweise das Wandelröschen oder der Behaarte Zweizahn, der zur gleichen Familie gehört wie das Gänseblümchen, die Sternkirsche (Physalisgewächs) sowie die weniger bekannte Kongojute (Malvengewächs) und die Vassourinha (Wegerichgewächs). Letztere soll krampflösend sein.

Rund 20 Pflanzen wollen die Wissenschaftler nun im Wuppertaler Labor und in der FU Berlin untersuchen. „Bei uns in Deutschland sind die meisten Pflanzenarten im Wesentlichen bekannt. Aber in Brasilien werden ständig neue Arten gefunden und beschrieben“, erklärt Rinklebe. „Wir untersuchen die Standortansprüche an die Pflanzen, also die Bodenbeschaffenheit, Nährstoffe, potenzielle Schadstoffe. Von großer Bedeutung sind auch Spurenelemente“, sagt er.

In vielen Salben sind beispielsweise Zink oder Selen enthalten. Rinklebe: „Viele Heilsalben enthalten Zink, weil Zink wundstillend ist. Selen ist ein wichtiges Element, weil es für die menschliche Ernährung essenziell ist. Es stärkt das Immunsystem, ist aber bei zu hoher Konzentration giftig.“ Die Forscher wollen wissen, in welchen Pflanzen Cobalt steckt, in welchen sie Zink und Selen finden, wo Kupfer und wo potenzielle Schadstoffe wie Blei oder Arsen enthalten sind. „Arsen wird in ganz geringen Mengen vom Menschen benötigt“, weiß Rinklebe. Aber wie bei vielen Stoffen gilt: Die Dosis macht das Gift.

Extrakt wird auf
antibakterielle Wirkung geprüft

Aus diesem Grund vereint das Projekt gleich mehrere Disziplinen. Landwirtschaftliches, biochemisches und ökologisches Wissen sollen in dem Projekt zusammengeführt werden. Nicht nur die Agrar- und Bodenwissenschaftler aus Wuppertal machen mit. In der Freien Universität Berlin finden die pharmakologischen Untersuchungen statt. Die brasilianischen Partner haben ein öliges Extrakt aus den Pflanzen hergestellt, das in Berlin auf antibakterielle, antiseptische und antiflammbare Wirkung untersucht wird. „Sie bringen den Nachweis, dass die Stoffe nicht toxisch sind und für eine Heilsalbe taugen“, sagt Rinklebe. Die Firma in Brasilien soll die Heilmittel schließlich zur Produktion bringen. Ihren auf Aloe Vera basierenden Produkten könnten weitere Pflanzen beigemischt werden.

Die Analysen auf Spurenelemente, Nähr- und Schadstoffe laufen in Wuppertal aktuell, Ergebnisse gibt es noch keine. Denn die Untersuchung ist zeitaufwändig. Die Pflanzen müssen getrocknet, geschnitten und zu einem Pulver gemahlen werden, bevor mithilfe von Säure die Elemente herausgelöst werden. Sie liegen dann in flüssiger Lösung vor, die mit Analysegeräten gemessen werden kann. Ähnlich sieht es bei der Analyse der Böden aus. Hier muss zuerst der Feinboden von Grobboden durch Sieben getrennt werden, bevor die Bestandteile herausgelöst werden können.

In dem Projekt, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium des Bundes für drei Jahre fördert, sieht Jörg Rinklebe eine große Chance. „Wir Europäer gewinnen einen Nutzen aus Pflanzen, deren Wirkung vorher nicht bekannt waren oder nicht genutzt wurden, mit der Idee, gleichwertige oder bessere Wundsalben zu erschaffen als bisher“, sagt er. Außerdem würden so Alternativen geschaffen für Menschen mit Unverträglichkeiten oder Allergien gegen bislang bestehende Heilmittel. „Der Arzt sagt dann: ,Die Salbe wirkt nicht? Dann versuchen wir die nächste’“, macht Rinklebe deutlich. Einen weiteren Vorteil sieht er in dem Anbau der Pflanzen: Es seien keine Monokulturen mehr notwendig, stattdessen könnten mehrere unterschiedliche Pflanzen mit gleicher Wirkung angebaut werden.

Rinklebe hofft nach Ablauf der drei Jahre Förderzeit auf eine Anschlussförderung. Denn Pflanzen zu kultivieren, brauche seine Zeit. „Wenn wir es schaffen, in drei Jahren ein neues Produkt herzustellen, wäre das ein Riesenerfolg.“