Wuppertaler Zeitzeugen „Das Ende des Krieges, das war Sieg und Niederlage zugleich“

Rund 200.000 Menschen versuchten nach dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai, in den zerbombten Wohnungen in Wuppertal zu überleben. Zeitzeugen erzählen.

Dieses Bild der zerstörten Schwebebahn bei Wupperfeld zeigt das Ausmaß der Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Foto: WSW

Als die Amerikaner am 15. und 16. April 1945 von Ronsdorf aus nach Wuppertal einrückten, fanden sie ein Trümmerfeld vor. Besonders die beiden großen Fliegerangriffe auf Barmen und Elberfeld hatten große Teile der Stadt zerstört. Rund 200 000 Menschen versuchten nach dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai, in den zerbombten Wohnungen zu überleben. Historiker Detlef Vonde hat bei der Bergischen Volkshochschule mit Edith Geuter, Eva Brabender-Hofmann und Johannes Beumann in vielen Zeitzeugengesprächen ermittelt, wie die Lebensbedingungen zu Kriegsende in Wuppertal waren. Nachzulesen sind die sehr persönlichen Schilderungen in dem Buch „Fingerhüte aus Trümmern“ (Edition Köndgen).

„Die Energieversorgung existierte praktisch nicht mehr, das Trinkwasser war knapp, das öffentliche Leben insgesamt gleichsam abgeschafft“, erzählt Detlef Vonde. „Fett, Fleisch, Eier und Milch gab es kaum noch, und was einem auf Lebensmittelkarte zustand, kriegte man kaum noch. Man musste anstehen, um Brot zu kriegen“, schilderte Marga Fleckenstein, die bei Kriegsende 20 Jahre alt war. Sie war damals kriegsverpflichtet in einem Rüstungsbetrieb. Wenn sie in den letzten Kriegstagen bei Fliegeralarm nach Hause lief, wurde sie manchmal von Tieffliegern verfolgt, die mit Maschinengewehren auf die Menschen schossen. Im Juni 1945 erreichte die Lebensmittelversorgung einen Tiefpunkt: Auf Marken gab es nur noch 517 Kalorien pro Tag und Person.

Neben den Wuppertalern, von denen viele ihre Wohnung verloren hatten, befanden sich auch Flüchtlinge aus den Ostgebieten (in den Nachkriegsjahren rund 70 000) und ehemalige Zwangsarbeiter in der Stadt. Rund 16 880 Menschen aus Osteuropa konkurrierten jetzt mit den Einheimischen um die knappen Lebensmittel.

Der damals 13-jährige Karlheinz Arnold wohnte mit seinen Eltern und zwei Schwestern bei Kriegsende in einem Behelfsheim der Post „In den Birken“ auf 16 Quadratmetern. Viel Schrankplatz benötigten sie damals nicht: „Wir hatten nichts unterzubringen. Wir waren ja vollkommen ausgebombt“, erinnerte sich Arnold. Am Kriegsende war er vor allem froh, nachts nicht mehr durch Fliegeralarme geweckt zu werden. Seine Gedanken kreisten jedoch weniger um die einrückenden Amerikaner als um die Beschaffung von Essen und Heizmaterial. Viele der Interviewpartner schildern etwa, wie sie Kohle von Güterzügen „fringsten“ oder unverbrannte Reste aus alter Asche klaubten. Schwarz- und Tauschhandel blühten. „Es wurden Arbeiten ausgeführt für Lebensmittel, für Werkzeuge, für Stoffe, Kleidung und dergleichen“, erzählte Hans Georg Heldmann über die Schreinerei seines Vaters. Viele Arbeiten mussten die Frauen übernehmen, weil die Männer noch in Gefangenschaft waren. „Schlimm war für uns, dass wir keine Männer hatten in der Stadt. Alles, was es zu reparieren gab, mussten wir Frauen selbst reparieren“, erinnerte sich Gisela Bücher, damals 23 Jahre alt. „Das Ende des Krieges, das war Sieg und Niederlage zugleich, ein seltsames Gefühl.“

Hermann Heinrich erzählte, wie er als Elfjähriger mit seiner Schulklasse nach dem großen Angriff Tote aus Kellern bergen musste und selbst bei einem anderen Angriff verschüttet wurde. Viele der Befragten schildern, dass bei Kriegsende wegen der vielen Angriffe der Schulunterricht eingestellt wurde und sie in den ersten Nachkriegsjahren mehrfach die Schule wechseln mussten. Wichtiger Bestandteil war dort die Schulspeisung. Am 14. Juni 1945 übergaben die US-Soldaten dann das Kommando in Wuppertal an die Briten. Nach und nach wurde die Verwaltung neu aufgebaut, Verkehrsmittel wieder in Betrieb genommen. Doch noch im März 1947 kam es in Barmen zu Hungerdemonstrationen. Erst 1949 wurden die Lebensmittelrationierung abgeschafft.