Wuppertal Züge, die durch Häuser fahren
Um spektakuläre Kombinationen von Zugstrecken und Gebäuden zu finden, muss man nicht bis China reisen. Sondern nur bis zum Döppersberg.
Wuppertal. Das Bild sorgte kürzlich für weltweites Aufsehen: In der chinesischen Metropole Chongqing fährt ein Zug in luftigen Höhen mitten durch ein 19-stöckiges Wohnhaus. Der Grund: Platzmangel. Ein großes Problem in der Millionenmetropole, die Bahnstrecke wurde also kurzerhand als Hochbahn und durch das im Weg stehende Bauwerk geplant. Der Anblick der Waggons, die durch das Gebäude rattern, wurde zur Sensation. Nur in Wuppertal dürften die Reaktionen etwas unaufgeregter ausgefallen sein: Eine Bahn, die durch ein Haus fährt, gibt es hier schon lange.
Genauer gesagt seit 1926. Bis heute kann man tagtäglich am Döppersberg beobachten, wie die Schwebebahn im Dreieinhalb-Minuten-Takt durch das KöBo-Haus fährt. Nicht unbedingt in diesen so luftigen Höhen, wie es in China der Fall ist, dafür aber schon seit fast einem Jahrhundert. Und, als Special Effect sozusagen, über Wasser. Das Haus ist nämlich über die Wupper gebaut, deren geschlängeltem Verlauf die Schwebebahnschienen folgen.
Eine Frage drängt sich aber geradezu auf: Was war zuerst? Bahn oder Gebäude? Im Fall China lautet die Antwort: beide. Beide Bauprojekte wurden fast zeitgleich realisiert. In Wuppertal war die Bahn zuerst da. „Die Schwebebahn wurde 1901 eingeweiht, damals befand sich am Döppersberg eine ganz normale Haltestelle“, erzählt Imke Bellinghausen vom Stadtarchiv. „1926 wurde dann das KöBo-Haus um die Bahnschienen herumgebaut.“ Nachgelesen hat Bellinghausen das in einem Artikel des General-Anzeigers vom 19. März 1926, der über die feierliche Einweihung des Gebäudes berichtet. Auf den Fotos ist die Schwebebahnlinie so zu sehen, wie sie auch heute durch das Haus führt.
Und das sollte auch so bleiben: Die Haltestelle im KöBo-Haus ist die am stärksten frequentierte in der Stadt. Bis zu 32 000 Fahrgäste pro Tag nutzen den Halt. Die Zahl soll sich nach Abschluss des Döppersberg-Umbaus noch erhöhen: Denn die dadurch gewonnene Attraktivität der Wuppertaler City — die derzeit am KöBo-Haus nicht zuletzt durch die ansässige Drogen-Szene beeinträchtigt wird — soll in Zukunft mehr Besucher anlocken.
Im Unterschied zu dem chinesischen Beispiel wohnt glücklicherweise niemand im KöBo-Haus. Besonders leise ist es nämlich nicht, wenn die Bahn durch die Hallen rauscht. Aber auch in Chongqing fallen die Tassen nicht aus dem Schrank, wenn der Zug alle zwei Minuten das Wohnhaus passiert: Der Zug verursache, so berichtet es der britische „Telegraph“, nicht mehr Lärm als eine handelsübliche Spülmaschine.
Züge, die durch Häuser fahren, gibt es aber noch öfter auf der Welt: Und das mitunter gar nicht so weit entfernt. An der Berliner Dennewitzstraße fährt die U1 mitten durch die dritte Etage eines rotgestrichenen Wohnhauses und verschwindet dann in einem Tunnel. Und auch der Düsseldorfer Sky-Train, der Urlauber auf ähnliche Art wie die Schwebebahn von diversen Haltestellen zu den Flughafen-Terminals bringt, fährt aus Gebäuden hinein und hinaus. Das sieht jedoch weit weniger spektakulär aus, als es in Wuppertal der Fall ist. Und, nun gut, in China sieht das auch noch recht spannend aus.