Zwangsheirat: Immer mehr Frauen suchen Hilfe
Die Caritas hilft Frauen, die verheiratet werden sollen. Dieses Jahr kamen so viele Betroffene wie noch nie.
Wuppertal. Arzu Ö. aus Detmold wird seit mehr als einem Monat vermisst. Die Polizei vermutet, dass die Familie die eigene Tochter verschleppt hat. Der Grund: Ihre Liebe zu einem „falschen“ Mann. Der Fall ähnelt einer Tat, die sich Mitte Oktober in Wuppertal ereignete. Der Vater und zwei Brüder entführten eine 19-jährige Libanesin und misshandelten die Frau, damit sie die Beziehung zu dem Mann beendet.
Die Wuppertalerin Elisabeth Cleary hat in ihrer Arbeit täglich mit Gewalt gegen Frauen zu tun — meist von der eigenen Familie ausgeübt. In einem Projekt der Caritas betreut sie Mädchen und Frauen, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollen. „So viele Frauen wie in diesem Jahr waren noch nie bei uns“, sagt Cleary. 13 Frauen, die zwischen September 2010 und August 2011 Hilfe bei ihr suchten, sollten Männer heiraten, die sie nicht ehelichen wollten. Zwei waren sogar schon gezwungen worden, die Ehe einzugehen. „Die Dunkelziffer ist aber weit höher“, schätzt Cleary. Nur die Mutigsten kommen zu ihr.
„Meist läuft im Leben der jungen Migrantinnen alles recht normal ab. Dann verlieben sie sich in einen Mann aus einem anderen Kulturkreis und die Probleme beginnen“, erzählt Cleary. Viele der jungen Frauen sind gut integriert, haben beste Schulnoten oder studieren bereits. Cleary erinnert sich an einen besonders tragischen Fall: Eine 27-jährige Wuppertalerin mit abgeschlossenem Medizinstudium stand fest im Leben. Ihre Eltern hatten aber einen anderen Plan für sie. „Sie kam zu uns, entschloss sich aber in letzter Sekunde doch dem Willen ihrer Eltern zu genügen.“ Sie wurde in Amerika mit einem Fremden verheiratet.
Manchmal sind es nicht die Frauen selbst, die sich bei Cleary melden. „Lehrer rufen bei uns an, auch Arbeitgeber geben Hinweise.“ Wenn dann Kontakt zu der jungen Frau besteht, muss es schnell gehen. Oft findet die Verheiratung im Ausland statt. Deshalb versucht eine Organisation, die mit der Caritas zusammen arbeitet, die Betroffenen schnellstmöglich wegzubringen. Einige machen einen Rückzieher. „Sie sind sowohl ein eigenständiger Mensch als auch ein Kind ihrer Eltern“, sagt Cleary.
Die 19-jährige Libanesin hat sich für ihr Leben entschieden. Sie muss jedoch noch von der Polizei geschützt werden. Vater und Bruder sind in U-Haft. Von Arzu Ö. fehlt jede Spur; vielleicht ist sie nicht einmal mehr am Leben.