Zeitzeugengespräch im Landtag Inge Auerbacher und der umgedeutete Judenstern

Düsseldorf · „Ich bin ein Stern“, heißt die Autobiografie von Inge Auerbacher. Den Jugendlichen gibt sie mit auf den Weg: „Lauft nicht mit.“

Die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher aus New York zeigt einer Schülerin im Düsseldorfer Landtag, wo sie den Judenstern tragen musste. Auerbacher sprach mit rund hundert Jugendlichen.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Als Inge Auerbacher so alt war wie die Jugendlichen aus Düsseldorf, Ratingen und Bottrop, denen sie jetzt im Plenarsaal des Landtags gegenübersitzt, hatte sie den Holocaust schon sechs Jahre hinter sich. Bei der Reichspogromnacht 1938 war sie noch keine vier Jahre alt. Ein Jahr konnte sie später noch die einzige Schule für jüdische Kinder in Baden-Württemberg besuchen, dann folgten drei Jahre im Konzentrationslager Theresienstadt.

Man muss sich das immer wieder klarmachen, wenn man die zunehmend seltenere Gelegenheit hat, Zeitzeugen der NS-Diktatur zu begegnen: Diese Menschen erzählen inzwischen in der Regel aus ihrer Kindheit. Aber sie erzählen eben noch aus einer Wirklichkeit, die einst zu ihrem Leben gehörte. Darum bekommt es auch mehr Gewicht, wenn Inge Auerbacher sagt: „Man hat geglaubt, das ist der letzte Krieg, das ist der letzte Hass. Aber die Menschen sind anders.“

Die Zeitzeugin macht es den Schülern leicht

Die heute 84-Jährige ist erst wenige Stunden zuvor aus New York angereist. Und sie macht es den rund hundert Gymnasiasten im Alter von 16 Jahren einfach: Ein verschmitztes Lächeln, ein kurzes Winken, ein aufmunterndes Schulterklopfen für die Schülerin, die beim Aufstellen für die Journalistenfotos zufällig neben ihr sitzt.

Auerbacher folgt einer Einladung der NRW-Antisemitismusbeauftragten Sabine Leuthusser-Schnarrenberger. Und immer wieder gelingt es ihr, die Brücke zu schlagen zu den Jugendlichen von heute. Wie sie mit der Angst habe leben können? „Als Kind habe ich gedacht, meine Eltern sind meine Schutzengel.“ Wie sie in dem neuen Land zurechtgekommen ist? „Man muss sich anpassen.“ Ja, da waren die Traumata, der jahrelange Kampf mit der Tuberkulose und die deswegen verlorenen Schuljahre. „Aber ich wollte wieder ein richtiger Teenager sein.“

Die Sehnsucht nach einem normalen Leben, ohne Ausgrenzung, ohne Judenstern, den sie heute noch besitzt, von der Mutter gesäumt. „Aber wenn die Leute älter werden, denken sie wieder an früher.“ Erst 1990 erscheint ihre Autobiografie „Ich bin ein Stern“, in dessen Titel sie das NS-Ausgrenzungszeichen ins Positive wendet, auf Deutsch.

Seither reist Auerbacher viel durch die ganze Welt. „Ich will meinen Mund aufmachen“, sagt sie. Und wenn sie das tut, hat sie vor allem eine Botschaft: „Man hat die Wahl: Bleibt man ein guter Mensch oder läuft man mit den blöden Leuten?“ Ihr Appell: „Es liegt an euch. Lauft nicht mit.“

Von diesen Gegenpolen erzählt die Chemikerin immer wieder. Von dem Vater, der an eine Gefahr nicht glauben wollte, weil er doch als Deutscher im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte und Träger des Eisernen Kreuzes war. Von den Freundinnen, die ihr treu geblieben sind in ihrem schwäbischen Dorf. Von der Freundschaft zum Enkel des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. „Versöhnung ist etwas anderes für mich als vergeben“, sagt sie. Den Tätern könne sie nicht vergeben. Aber versöhnen, das will sie, wo sie kann. In ihrer Straße zu Hause wohnen eine muslimische, eine jüdische, eine christliche und eine Hindu-Familie nebeneinander. „Für mich gibt es nicht die anderen.“

Wie sie denn dann den wachsenden Rassismus ertrage in den USA und in Europa, wollen die Schüler wissen. Die wahrscheinlich erwarteten Schimpftiraden auf US-Präsident Trump bleiben allerdings aus. „Er spricht, ohne zu denken“, sagt Auerbacher zwar, er werde aber auch missverstanden. Sie habe ihn nicht gewählt, aber mit den Demokraten und ihren als antisemitisch kritisierten weiblichen Jungstars ist sie auch nicht einverstanden. „Die ganze Welt ist verrückt.“

Darum hat sie sich vorgenommen, ihre letzten Jahre noch zu nutzen – zur Gegenrede. Seit 1953 hat Inge Auerbacher die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, Heimat ist für sie da, „wo ich wohne“. Aber die deutsche Erziehung stecke bis heute in ihr. Der schwäbische Akzent perlt nach all den Jahrzehnten noch fast fehlerfrei aus ihrem Mund. Und das Land, das sie und ihre Familie einst vernichten wollte, hat sie inzwischen mit dem Verdienstorden ausgezeichnet. „Ich bin ein positiver Mensch“, gibt sie den Schülern mit auf den Weg. „Man kann etwas Böses in etwas Gutes verwandeln.“