Zu lange Verfahrensdauer Wenn die Justiz Verdächtige laufen lässt

Düsseldorf · Die SPD attackiert den NRW-Justizminister wegen sieben entlassener U-Häftlinge. Doch Peter Biesenbach (CDU) kontert.

NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU).

Foto: dpa/Marcel Kusch

Wenn jemand in Untersuchungshaft soll, dann muss es dafür schon sehr gute Gründe geben. Schließlich wird da ein Mensch weggesperrt, obwohl noch gar nicht feststeht, ob er schuldig ist und später verurteilt wird.  Zum einen muss der in U-Haft Genommene „dringend tatverdächtig“ sein. Und es muss einen Haftgrund geben, zum Beispiel Fluchtgefahr. Oder es besteht Verdunklungsgefahr – das heißt, es steht zu befürchten, dass der Verdächtige Beweismittel manipuliert oder auf Zeugen Einfluss nimmt, wenn er weiter frei herumläuft. Neben diesen Haftgründen, die das Strafverfahren sichern sollen, kann auch eine vom Beschuldigten ausgehende Wiederholungsgefahr Grund dafür sein, ihn einzusperren.

Eben weil diese guten Gründe für einen Freiheitsentzug in jedem einzelnen Fall eines Haftbefehls gerichtlich festgestellt werden müssen, wiegt es umso schwerer, wenn sich die Justiz dann doch gezwungen sieht, den Beschuldigten wieder laufen zu lassen – und zwar wegen Fehlern im eigenen Verantwortungsbereich. Weil es nämlich einfach zu lange dauert, bis das Hauptverfahren beginnt. Die Strafprozessordnung schreibt vor, dass Verfahren, in denen dem Beschuldigten schon vor einer Verurteilung die Freiheit genommen wird, absolute Priorität haben müssen. In der Regel darf eine Untersuchungshaft nicht länger als sechs Monate dauern. Gibt es bis dahin kein Urteil, kommt der Betroffenen in der Regel aus der Haft. Was natürlich nicht heißt, dass er damit fein heraus wäre. Sein Strafverfahren läuft selbstverständlich weiter. Ist er schuldig, wird er verurteilt und muss dann gegebenenfalls sein Strafe im Gefängnis antreten.

Sieben solcher Entlassungen aus der Untersuchungshaft gab es im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen. Eine Zahl, die die SPD am Mittwoch dafür nutzen wollte, den für die NRW-Justiz zuständigen CDU-Minister Peter Biesenbach auf die politische Anklagebank zu setzen.  Im Rechtsausschuss des Landtags überschrieb die Opposition ihren Vorwurf so: „NRW-Justiz zu langsam – sieben Beschuldigte freigelassen – und wo ist die Null-Toleranz-Politik der Landesregierung?“

Ein Raub in Neuss und
eine Flucht aus dem Krankenhaus

Der so attackierte Justizminister verteidigte sich indes so effektiv, dass den „Anklägern“ daraufhin nichts Substantielles zur Replik einfiel. Biesenbach schilderte vor den Landtagsabgeordneten jeden einzelnen der sieben Fälle. Wie zum Beispiel den eines Raubes in Neuss: Anklage war im Juni 2018, terminiert wurde die Hauptverhandlung auf September. Doch da war der Verteidiger verhindert. Und auch der neue Gerichtstermin platzte, weil der Angeschuldigte einen Krankenhausaufenthalt zur Flucht nutzte. Das Oberlandesgericht entschied, dass eben dies nicht passiert wäre, wenn der Mann in ein Justizvollzugskrankenhaus gebracht worden wäre. Wegen dieses Fehlers dürfe er nicht länger in U-Haft gehalten werden.

Biesenbach stellte klar, er könne und dürfe solche Gerichtsentscheidungen angesichts der von ihm zu respektierenden richterlichen Unabhängigkeit nicht kritisieren. Auch wenn sie in einigen wenigen Fällen zu einem unerwünschten Ergebnis führten.  Da am Ende alle Strafverfahren durchgeführt worden seien, könne von einem Abweichen von der Null-Toleranz-Strategie der Landesregierung mit Blick auf die Kriminalitätsbekämpfung nun wirklich nicht die Rede sein.

Im Schnitt würden in Nordrhein-Westfalen pro Jahr gut 7450 Untersuchungshaftbefehle vollstreckt. Die Zahl von sieben Haftentlassungen wegen zu langer Verfahrensdauer mache hier einen Anteil von gerade mal 0,09 Prozent aus, rechnete der Minister vor. Dieser geringe Anteil zeige geradezu, wie hervorragend Staatsanwaltschaften und Gerichte im Land arbeiteten. Der Justiz gebühre „höchste Anerkennung“, stellte sich der Justizminister hinter die rund 40 000 Menschen, für die er im Land zuständig ist.